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Loslassen
Bild: Dr. Erich Ackermann15.08.2022 esg-mz_ab Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Loslassen
Liebe Studierende,
im Sommer nahm ich mit Kolleginnen an einem Kurs in künstlerischer Gestaltung im evangelischen Kloster Volkenroda in Thüringen teil. Eingebettet in die Gebetszeiten des Klosters (morgens, mittags und abends) arbeiteten wir täglich von 9 – 12 Uhr und von 15 – 18 Uhr an unseren Werken. Zwei Künstler haben uns dabei begleitet, Jens Wolf, Lehrer und Maler, und Petra Arndt, Bildhauerin und Lyrikerin. Die ersten Schritte künstlerischer Gestaltung waren schwierig, zu sehr planten wir – wie wir es gewohnt sind – vom Kopf her.
Bei meinen ersten Versuchen mit Aquarellfarben wich die Begeisterung der Ernüchterung. Ich wechselte das Material und arbeitete fortan mit Ton. Mit zunehmender Dauer gelang es mir besser, mich auf das Material einzulassen. Die angestrebte Figur sollte ein Frauenkopf werden, sah aber immer noch aus wie Bert Brecht. Nach anfänglichen Fehlversuchen wurden die Arbeiten immer besser. Nicht das Denken bestimmte unsere Arbeit, vielmehr lernten wir loszulassen und zuzulassen und dadurch traten wir in einen künstlerischen Prozess ein, der fließend daherkommt und als Flow bezeichnet wird.
Das künstlerische Gestalten machte viel Freude, das Malen und Töpfern führt zu einer großen inneren Ruhe, man gewinnt Abstand von beruflichen Anforderungen und dem derzeitigen weltpolitischen Inferno. Loslassen lernen war das große Thema des Kurses. Wir haben festgestellt: Nur wenn ich loslasse, bin ich im künstlerischen Fluss und kann gestalten. Loslassen lernen, dieses Thema kennen wir alle und es holt uns in so vielen Situationen im Alltag immer wieder ein.
Oft halten wir jahrelang an Beziehungen, Gewohnheiten oder Abläufen fest, obwohl wir wissen, dass sie uns nicht guttun. Die oftmals seit der Kindheit angesammelten psychischen Verletzungen und traumatischen Erfahrungen lösen sich nicht einfach auf, sie begleiten uns so lange, bis es uns gelingt, zu verzeihen, zu vergessen oder einfach loszulassen. Loslassen lernen bedeutet, dass wir uns bewusst von negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit lösen und damit wieder die Verantwortung für unser Leben übernehmen.
Darüber hinaus gibt es auch Gegenstände, die möglicherweise schon seit Jahren in Schubläden und Schränken schlummern und von denen wir uns bislang nicht trennen konnten, obwohl sie nicht mehr zu unserem Leben passen. Wir sollten sie loslassen, entsorgen, verschenken. In den östlichen Religionen wird das Loslassen propagiert. „Wenn ich loslasse, was ich bin, werde ich, was ich sein könnte. Wenn ich loslasse, was ich habe, bekomme ich, was ich brauche“, so die Worte von Laotse, dem Begründer des Taoismus.
Ein berühmtes Sprichwort aus dem Buddhismus besagt: „Lerne loszulassen, das ist der Schlüssel zum Glück.“ Was die östlichen Religionen auf den Punkt bringen, gilt auch im Christentum. Der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar formuliert es so: „Halten will der Mensch – Gott fordert das Loslassen.“
Im Philipperbrief (Kapitel 3, Verse 12 – 14) schreibt Paulus: „Ich meine nicht, dass ich schon vollkommen bin und das Ziel erreicht habe. […] Aber ich lasse alles hinter mir und sehe nur noch, was vor mir liegt. […] Dieser Preis ist das neue Leben, zu dem mich Gott durch Jesus Christus berufen hat.“ Paulus erkannte, wenn wir Jesus sehen, erkennen und erleben wollen, müssen wir lernen, loszulassen.
Wir müssen Erinnerungen, Verletzungen, Prägungen, Sicherheiten, Erwartungen und Vorstellungen loslassen. So öffnen wir Gott die Tür in unser Leben. Das Loslassen ist ein wichtiger Schlüssel in unserer Beziehung zu Gott.
Paulus gibt uns den Ratschlag: Lerne loszulassen und finde immer wieder neuen Segen, neue Kraft und neue Hoffnung. Lerne dein Leben in die Hände Gottes loszulassen. Ich wünsche Euch eine gute und kreative vorlesungsfreie Zeit, gelingendes Loslassen und starke Nerven für alle Prüfungen. Bleibt gesund und behütet.
Dr. Erich Ackermann
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