Geben und nehmen

Freude und Frust beim Teilen

© iStockphoto, PhotographyFirmKinder streiten sich um ein GeschenkTeilen - nicht immer ganz einfach

Noch schnell ein Geschenk für die Nichte in der Stadt besorgen, neben dem Eingang zum Kaufhaus streckt ein Obdachloser die Hand aus. Soll man etwas geben? Gerade in der Adventszeit sollten die Herzen zum Teilen offen stehen, aber das empfindet nicht jeder zu jeder Zeit. Eine Familientherapeutin spricht über die Freude und den Frust beim Geben und Nehmen.

Mit Tränen in den Augen beschwert sich der kleine Junge: „Ich will aber das Geschenk bekommen, es soll nicht für ein anderes Kind sein.“ Der Vater ist mit ihm auf dem Weg in die Stadt, um einen Plüschelefanten für ein anderes Kind aus einer ärmeren Familie in der Stadt zum Weihnachtsfest zu kaufen.  Seinen eigenen Sohn haben er und seine Frau längst mit einem selbstgebastelten Adventskalender und einem gut gefüllten Nikolausstiefel überrascht. Aber für den kleinen Jungen scheint die Sache mit dem Teilen nicht so einfach zu sein. Dabei kennt die christliche Tradition zahlreiche Geschichten, die vom Teilen erzählen: So geben die Weisen aus dem Morgenland laut Bibel der heiligen Familie etwas von ihren Schätzen ab: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und Legenden berichten, dass Nikolaus von Myra drei verarmten Schwestern drei Goldklumpen zukommen ließ.  Sankt Martin von Tours soll einen abgetrennten Teil seines Reitermantels  einem frierenden Bettler übergeben haben. Und in der Vorweihnachtszeit appellieren Spendenorganisationen an die Nächstenliebe der Mitmenschen.

Auf dem Weg

Die Bereitschaft zum Teilen ist gefragt. Doch der kleine Junge ist anderer Meinung.  Familientherapeutin Charlotte Wicke-Reitz ist Fachleiterin in der Ehe-Familien-Lebens-Beratung-Darmstadt, zu deren Trägern die EKHN gehört. Sie sieht die eigenwillige Reaktion des Jungen entspannt: „Das ist ganz normal. Hier fängt Erziehung an: Der Vater kann erklären, warum er einem anderen Kind etwas Gutes tun möchte.  Es ist gut, dass er seinen Sohn an seinem Vorhaben teilhaben lässt.“ Der Vater könne deutlich machen, dass es der eigenen Familie gut gehe und er deshalb etwas abgeben möchte. Dadurch bereite seine Familie  anderen Menschen eine große Freude.

Freude und Gemeinschaftserlebnis

Freude ist für Therapeutin Charlotte Wicke-Reitz ein ganz zentraler Aspekt beim Teilen. Sie erklärt: „Wenn ich zu einem schönen Essen einlade, freue ich mich darüber, anderen eine Freude zu bereiten. Und die Gäste freuen sich, weil sie das Essen von mir gerne in Empfang nehmen.“  Beim Teilen sei beides selbstverständlich enthalten: „Freude geben und Freude nehmen. Und die Freude kommt zurück, wenn sich der andere freut“, so Therapeutin Wicke-Reitz. Deshalb nehme sie oft wahr, dass manchen Menschen das Schenken selbst wichtiger sei als das eigentliche Geschenk. Ein weiterer wichtiger Punkt sei das Gemeinschaftserlebnis, denn das Teilen verbinde mit anderen Menschen.  

Aufgaben und Wünsche aufteilen

Doch ganz so harmonisch erlebt nicht jeder das Geben und Nehmen. Therapeutin Charlotte Wicke-Reitz macht deutlich: „Ich will es nicht schön reden: Bei vielen Menschen ist die unterschwellige Angst da: Komme ich vielleicht zu kurz?“ Man könne davon ausgehen, dass diese Sorge häufig vorhanden sei. Dann sei wichtig, diese Befürchtung anzusprechen und die Aufgaben und Wünsche miteinander auszuhandeln: Wer kocht morgen? Wer kümmert sich um die Urlaubsbuchung? 

Augen öffnen für das, was ich bekomme

Allerdings könne es auch vorkommen, dass ein Partner kaum wahrnehme, was er vom anderen bekomme. „Manchmal lässt sich das Mangelgefühl ausräumen, wenn man sich bewusst macht, was der andere einem gibt. Dafür sollten wir alle die Augen öffnen“, ermutigt die Fachleiterin. Oft falle einem dann recht viel auf, was im Alltag teilweise untergehe.

Der liebevolle Blick zum Anderen

Ein weiterer Aspekt sei wichtig, falls ein Ungleichgewicht im Geben und Nehmen empfunden werde: der liebevolle Blick zum Anderen.  Therapeutin Wicke-Reitz nennt ein Beispiel: „Falls ein Partner eine unausgeräumte Spülmaschine entdeckt, sollte er vermeiden, seinem Gegenüber Vorwürfe zu machen. Sondern er könnte auf den anderen eingehen, nach dessen Belastungen fragen und sich erkundigen, ob er etwas tun kann, damit es demjenigen besser geht.“

Zuviel geben

In ihrer täglichen Praxis erlebt Charlotte Wicke-Reitz allerdings auch Menschen, die zu viel von sich geben, die sich schwer abgrenzen können. „Sobald sich jemand unwohl beim Geben fühlt, sollte er über andere Strategien nachdenken“, erklärt sie. Dabei sei sinnvoll, den Grund für die übersteigerte Großzügigkeit zu erforschen. Oft leite diese Menschen die Haltung: `Wenn ich gebe, bekomme ich die Liebe, die mir sonst fehlt.´ Mit diesem Defizitgefühl könnten sich die Betroffenen dann auseinandersetzen, um sich schließlich besser abzugrenzen.  Charlotte Wicke-Reitz berichtet: „Oft erlebe ich bei Paartherapien:  Es sind oft die Frauen, die für ihre Familien sehr viel tun. Kommen beide Partner ins Gespräch, wird oft deutlich, dass Männer diese Aktivität gar nicht so sehr wünschen. Dass es ihnen viel wichtiger ist, gemeinsam auf dem Sofa zu sitzen.“

Gerechtigkeit – unerreicht, aber eine treibende Kraft

Jeder könne allerdings auch nur das geben, was er gebe könne und sich in die Bedürfnisse des andere einfühlen, wie es ihm möglich sei. Deshalb könne es laut Charlotte Wicke-Reitz auch keine absolute Gerechtigkeit geben.

Eine deutliche Schräglage könne allerdings auch zum Teilen motivieren, was Wohltätigkeitsorganisationen wie „Brot für die Welt“ im global-gesellschaftlichen Sinne zeigen. Beispielsweise hat der Klimawandel die Trockenheit im Norden Perus verschärft. „Menschen nehmen Missstände in der Welt wahr und versuchen durch Spenden das Gefälle auszugleichen“, so die Therapeutin. Ein Ansatz, der tatsächlich einiges  bewirkt: Spenden ermöglichen den peruanischen Kleinbauern, neue Bewässerungstechnik zu nutzen.

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