Rückblick: Indien-Austauschreise 2023, Chiara Pohl + Larissa Junkers

Foto: esg.ffm

Tu Maan Meri Jaan, Main Tujhe Jane Na Dunga.
(Take my advice, my dear. I’m not going to let you go.)


Eine Zeile aus einem indischen Liebeslied namens “Maan Meri Jaan” und Ausdruck des kulturellen Austauschs, an welchem wir durch die Reise nach Indien im Rahmen des Austauschprogramms des Indienarbeitskreises der ESG Frankfurt teilhaben durften. Ein Lied, welches durch die vielfältigen Erfahrungen mit unseren indischen Freundinnen und Freunden zum Symbol unserer Reise geworden ist und uns überallhin begleitet hat.

Begonnen hat unsere Reise in der größten Stadt Indiens, Mumbai, wo wir einige Tage zu Besuch am Tata Institut für Social Sciences (TISS) waren und dort Studierende, Doktorand/-innen, Professor/-innen und kennenlernen durften. Hierbei konnten wir auch einiges über die verschiedenen Forschungsschwerpunkte erfahren, die von Family-based alternative care bis hin zu Land-Stadt-Migration oder Umgang mit Kinderarbeit reichen.
Das Kastensystem stellt einen weiteren Punkt dar, welcher zum einen eng mit verschiedenen anderen Themen zusammenhängt, aber zum anderen auch als eigenen Forschungsgegenstand untersucht wird. Beispielsweise in Hinblick auf die sogenannten “Reservation Rights”, eine Art Quotenregelung für historisch benachteiligte Gruppen, wie die Dalits oder die Adivasi, damit diese Repräsentation in Bereichen wie Politik, Beruf und Bildung erhalten.

Bei einem Vortrag zu diesem Thema, der am TISS gehalten wurde, beeindruckte uns besonders eine Sichtweise auf das Kastensystem von Prof. Avatthi Ramaiah: “In this moment, when we are sitting here together in a classroom, learning together, all of us are Brahmans. When we are doing business, we are Vaishyas. When we are cleaning, we are Shudras.”

Zudem hatten wir die Gelegenheit auch einen Einblick in die Arbeit einer sozialen Organisation namens Masoom (“Unschuld”) zu erhalten, die in ein paar Slums bzw. tribalen Gemeinschaften Mumbais Lernzentren für Jugendliche und Erwachsene organisiert. Wie uns die in diesem Projekt engagierten Studierenden erzählten, würden an den Bildungsangeboten mehrheitlich Frauen teilnehmen, da ihnen in der Kindheit und Jugend diese Chance verwehrt wurde und sie durch Masoom die Möglichkeit bekommen, Bildung nachzuholen.

Insgesamt konnten wir in Mumbai besonders den wissenschaftlichen Austausch, aber auch die Freundlichkeit der Phd-Studierenden wertschätzen, die uns neben dem Einblick in die Wissenschaft auch einen Einblick in das studentische Leben am TISS, inklusive Wassermelonensaft und Essen im Speisesaal, bieten konnten und in nur wenigen Tagen zu unseren Freunden wurden, denen wir gerne im Gegenzug Frankfurt zeigen wollen, sobald sie einmal bei uns in Deutschland zu Besuch sind.

Am Bahnhof in Anand - übersetzt heißt das “glücklich”- wurden wir von unserer Partnerorganisation CDS, der Community Development Society, herzlich willkommen geheißen. Wir lernten unsere Gastgeber, darunter Manoj Macwan, den Leiter der CDS,  kennen und fuhren zu unserer Unterbringung, gemeinschaftlichen Wohnungen der Organisation. So erhielten wir den ersten Geschmack der “glücklichen” Stadt.

Community Development Society:
Die CDS ist eine in Anand ansässige Nichtregierungsorganisation und setzt sich für bedürftige Gemeinschaften ein, insbesondere im Bereich Jugend- und Frauenförderung durch Bildung.  Ihr Ziel ist es, die Armut zu verringern und Benachteiligten ein gutes Leben zu ermöglichen. Daher betreibt CDS beispielsweise mehrere Kindergärten in Slums sowie eine Grundschule und bietet Berufskurse für Frauen an.

Bereits an unserem ersten Tag in Anand gab es eine Feier zum Anlass des Weltfrauentags: Wir erlebten ein buntes Programm aus Reden, Tanz und Gesang und trafen viele Mädchen und Frauen aus unterschiedlichen Bereichen von CDS  - manche machten zum Beispiel eine Ausbildung zur Näherin, Lehrerin oder Kosmetikerin.

In den nächsten Tagen durften wir außerdem auch die Arbeit der CDS hautnah miterleben, als wir in mehreren Slums als Gäste eingeladen waren und dort mit sehr viel Gastfreundschaft empfangen wurden. Beispielsweise hatten die (Kindergarten-)Kinder ein Programm aus verschiedenen Tänzen und Gesängen vorbereitet und auch in einer der Hütten wurden wir freundlich mit indischem Chai und Knabbereien willkommen geheißen.
Besonders berührend war bei diesen Begegnungen die Verbindung zwischen uns und den Kindern, die durch das an das Programm anschließende gemeinsame Tanzen entstanden war, und die Lebensfreude, die die Kinder mit ihren tanzenden Bewegungen ausdrücken, sobald Musik abgespielt wird.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Zeit in Indien war das Kennenlernen sieben indischer junger Frauen, die uns im Mai 2023 in Deutschland besuchen würden. Zu jedem Abendessen waren wir bei einer anderen Familie einer der jungen Frauen eingeladen und konnten dort sowohl unterschiedliche Speisen, aber vor allem auch unterschiedliche Wohnsituationen und Lebensrealitäten kennenlernen. So waren wir mal in Hütten zu Besuch, mal in größeren Häusern, mal in einem Slum, mal in einer Bauernhofsiedlung, mal bei Hindus, mal bei Muslim/-innen, mal bei Christ/-innen. Mit der Zeit lernten wir einander immer besser kennen, brachten uns gegenseitig Worte unserer jeweiligen Sprachen bei und lachten viel, beispielsweise wenn wir deutschsprachigen Gäste ausversehen ein Wort auf Gujarati falsch aussprachen, sodass es plötzlich die Bedeutung hatte, ganz dringend aufs Klo zu müssen.

Gemeinsam mit diesen jungen Frauen, aber auch weiteren Kindern der Mädchenschule sowie der Grundschule von CDS hatten wir außerdem die Ehre "Holi" und "Dhuleti" zu feiern. Für uns bedeutete das vor allem von Kopf bis Fuß mit Farbpulver beworfen zu werden und dazu ausgelassen zu tanzen. An diesem Tag lernten wir nicht zuletzt auch einige indische Lieder wie das oben genannte “Maan Meri Jaan” kennen und erstellten anschließend mit Hilfe der Mädchen eine Playlist aller Lieder, mit denen wir nun eine Art Nostalgie verbinden und die uns an die gemeinsamen Erlebnisse in Indien erinnern.

Von Anand aus unternahmen wir zwei Ausflüge, bei denen wir jeweils von Manoj und Frauen aus der Gruppe, die Teil des Austausches sind, begleitet wurden. Zuerst besuchten wir den Süden Gujarats, in dem es noch viele tribal organisierte Gemeinschaften gibt, die unter großem und gewaltvollem Anpassungsdruck stehen.

Unsere Gastgeber zeigten uns die "Statue of Unity" von Sardar Vallabhbhai Patel mit einem Museum, den Narmada Staudamm, einen Hindu-Tempelkomplex sowie das in Kavant im Süden Guajarats von den dort lebenden Adivasis(indigene)  gefeierte, etwas andere Holifest mit Flöten- und Trommelmusik, Ölbemalungen, bunter traditioneller Kleidung, Pfauenfederhüten und Trachten und verschiedenen Tänzen durch die dicht bevölkerten  Straßen.

Danach ging es in den Südwesten Gujarats: Die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein portugiesisch kolonisierte Halbinsel Diu war neben Mumbai eine unserer Stationen am Meer. Unsere Freunde aus Anand stellten uns ihre Lieblingsorte der Insel vor, sowie das 1535 erbaute Diu Fort und die Kirche St. Paul, welche noch aus der frühen Kolonialzeit erhalten sind.

In Anand verbrachten wir schließlich noch einige Tage, bevor es hieß, sich von den liebgewonnen Menschen zu verabschieden - auf ein baldiges Wiedersehen in Deutschland.

In der ersten Über-Nacht-Zugfahrt ging es in den Wüstenstaat Indiens, Rajasthan.
Eine unserer Stationen in Rajasthan (neben Jaisalmer und Jodhpur) bestand aus einem Ausflug in die Thar Wüste, bei der wir durch den Einsatz unseres Reiseleiters einen Blick über den Tellerrand des Tourismus werfen und zu Besuch in einem kleinen Wüstendorf sein durften. Hierbei trafen wir auf die Bewohner/-innen des Dorfes und erlebten erneut, wie bereits beim Feiern von Holi mit den Grundschulkindern, wie viel Austausch möglich ist, ohne eine gemeinsame Sprache zu sprechen. So zeichneten wir in unseren Notizbüchern Bilder von Pfauen, Kamelen und Bananen, woraufhin uns die Kinder die dazugehörigen Worte in ihrer lokalen Sprache beibrachten, tanzten miteinander und spielten Wikingerschach.

Schlussendlich sind wir in die bevölkerungsreiche Hauptstadt Indiens gelangt - Delhi.
Dort hatten wir ein aufschlussreiches Treffen mit der Confederation of Indian Industries (CII). Mit führenden Personen sprachen wir über die größten Aufgabenfelder und Herausforderungen der indischen Industrien wie die Umsetzung der Digitalisierung, der ökologischen Wende und vor allem die hohe Arbeitslosigkeit bzw. der Anteil informell Beschäftigter in Indien. Hier stellte die CII vor, wie sie junge Jobsuchende auf dem Weg in die Arbeitswelt durch Beratung, Ausbildungskurse und Praktikavermittlung unterstützt und als Schnittstelle zwischen Bevölkerung und verschiedenen Arbeitsfeldern, konkreten Industrien und Firmen agiert. Darüber hinaus vermittelt CII zuvor gezielt geschulte Menschen in Partnerländer, damit sie in bestimmten Branchen mit Personalbedarf Arbeit finden: Beispielsweise in die Hotelindustrie der Schweiz oder in die Schiffslackierung nach Finnland. Die CII-Mitarbeitenden beantworteten offen und herzlich unsere daraufhin interessierten Nachfragen.

Einen Tagesausflug haben wir außerdem nach Agra unternommen, wo wir das Agra Fort sowie das berühmte Grabmal Taj Mahal besuchten und etwas über die Geschichte der muslimischen Mughal-Herrscher in Indien erfuhren. Eine historische Epoche, deren geistige Existenz in jüngster Zeit von politisch motivierter Klitterung bedroht wird.

Zurück in Delhi nutzten wir den Rest der Zeit, um eine der Städte, die niemals schlafen, in ihrer kulturellen Breite kennenzulernen - durch neue Orte und Begegnungen. Wir erlebten zudem, dass es im heißen Indien auch einmal heftig regnen konnte!

Nun, nachdem unsere Reise zu ihrem Ende gekommen ist, blicken wir mit etwas Sehnsucht auf die unterschiedlichen Städte zurück, deren Menschen, Klänge, Gerüche und Geschmäcker wir kennenlernen durften und die uns mit ihrem jeweils einzigartigen Charakter in ihren Bann gezogen haben. Zuletzt bleibt uns nur noch Aujo (Gujarati für Tschüss) zu sagen, in dem Wissen, dass wir in jeder indischen Stadt, die wir besucht haben, nun Freundinnen und Freunde haben, die uns jederzeit wieder willkommen heißen würden.

Weitere Infos: ppmueller@esg-frankfurt.de

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