Inklusion

200 Tänzer wollen mit großen Gefühlen das Publikum erobern

Charlotte MattesChoreograph Miguel-Angel Zermeñjo schiebt Melanie Loos auf die Bühne. Im Hintergrund tanzen Mitarbeiter der EVIM-Behindertenhilfe.Choreograph Miguel-Angel Zermeñjo schiebt Melanie Loos auf die Bühne. Im Hintergrund tanzen Mitarbeiter der EVIM-Behindertenhilfe.

Beim Projekt „Die Schöpfung.Gemeinsam.Neu.Erleben“ tanzen 200 Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gemeinsam. Am Dienstag, den 13. Oktober, hatte die Tanzgruppe ihren großen Auftritt im Wiesbadener Kurhaus.

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Tänzerinnen und Tänzer warten hinter der Absperrung auf ihren Auftritt, während Stella Monogenis und Mauricio Armenta tanzen. Manuela Lugner (links) und Kathrin Ajhar (rechts) bei der Probe am Campus Klarenthal. Tänzerinnen in Aktion.

Es ertönt klassische Musik in der Turnhalle des Campus Klarenthal in Wiesbaden. Mit rot-weißem Absperrband, das um Stühle gewickelt ist, wird die Bühne symbolisiert. Gerade fährt eine Frau mit ihrem Rollstuhl auf die Bühne. Sie trägt eine rote Zip-Jacke über der geblümten Bluse. Über die Lautsprecher ertönt ihre Stimme – sie wurde vorab aufgenommen. Einige der 200 meist schwarz gekleideten Tänzerinnen und Tänzer stehen tuschelnd hinter der Absperrung – sie warten auf ihren Auftritt. Der 13-jährige Usama ist auch dabei, er kommt von der Frankfurter Georg-Büchner-Schule. Er hatte mit der Musikauswahl erst seine Probleme: „Am Anfang dachte ich, was ist denn klassische Musik? Habe ich noch nie gehört. Aber jetzt kann ich es ertragen“, erzählt Usama und fängt an zu lachen. Seine Aufgabe ist es, Tücher zu schwingen und damit Wellen darzustellen. Über ein Mikrofon hören die Tänzerinnen und Tänzer die Anweisungen von Choreograph und Tanzpädagoge Miguel-Angel Zermeñjo. Sein langes, schwarz-gewelltes Haar weht, wenn er kraftvoll über den Hallenboden schreitet. Zermeñjo spricht mit einem südamerikanischen Akzent über das Oratorium „Die Schöpfung“ von Komponist Joseph Haydn.

„Ich möchte, dass sich diese wundervollen Menschen präsentieren“

Mit dem Stück hat Choreograph Zermeñjo drei konkrete Ziele: Die Individualität und das soziale Miteinander zu stärken, sowie den künstlerischen Aspekt. „Ich möchte ein Stück kreieren, das künstlerische Qualität zeigt und ästhetisch ist. Ich möchte auch, dass sich diese wundervollen Menschen präsentieren mit realen Emotionen auf der Bühne. Egal ob das Angst oder Glück ist – das ist für mich Kunst“. Zu der Probe in Wiesbaden-Klarenthal kamen Schülerinnen und Schüler in Reisebussen aus Frankfurt. Auch die zehnjährige Olivia ist mitgefahren. Sie erklärt, was das Tanz-Projekt für sie bedeutet: „Es geht in dem Stück darum, mit anderen Kindern und Erwachsenen etwas Großes zu schaffen. Damit auch Leute, die denken, 'mit Behinderten kann man nicht arbeiten', sehen, dass man das doch kann“, erklärt sie. 

Menschen mit und ohne Behinderung tanzen gemeinsam

Die Tänzerinnen und Tänzer des Projekts „Die Schöpfung.Gemeinsam.Neu. Erleben“ proben seit über zwei Jahren. Die Idee zu einem inklusiven Projekt kam von der Frankfurter LORENZ Stiftung. Heinz Jürgen Lorenz hat EVIM, den Evangelischen Verein für Innere Mission, angesprochen und gefragt, ob sie gemeinsam ein solches Projekt auf den Weg bringen möchten. „Wir haben das gerne gemacht, auch wenn wir am Anfang nicht wussten, wo uns das hinführen wird“, schildert Pfarrer Matthias Loyal und muss schmunzeln. Er ist der Vorstandsvorsitzende bei EVIM.

500 Menschen machen bei dem Projekt mit

Herausgekommen ist ein Projekt mit über 500 Mitwirkenden. Vom Orchester bis zum Requistenbauer. Weil die Tänzerinnen und Tänzer aus unterschiedlichen Orten des Rhein-Main-Gebiets kommen, sind sie in neun Gruppen eingeteilt und proben an unterschiedlichen Orten. Damit sie sich einstimmen können, proben sie vor dem Auftritt im Wiesbadener Kurhaus am 13. Oktober fünf Mal gemeinsam. Insgesamt stecken in dem Tanz-Projekt mindestens 750 Trainings-Stunden.

„Ich finde es total spannend wie die Zuschauer reagieren“

Auch die 13-Jährige Lynn trainiert mit. Ihr ist durch das Projekt etwas klar geworden: „Dass wir das Glück haben, laufen und normal sprechen zu können. Das kann man so viel besser wertschätzen. Es ist zwar toll, dass wir das alles können, aber man kann auch ohne Laufen oder Sprechen glücklich sein, sich verständigen und bei einem so tollen Projekt mitmachen.“ Wenzel Friebe sitzt im Rollstuhl. Er spielt einen Engel und das Wasser. Der 37-Jährige ist besonders beeindruckt von den Reaktionen des Publikums: „Ich finde es total spannend wie die Zuschauer reagieren und wie die das verfolgen“, erklärt Friebe – seine Augen leuchten. Die Tanzgruppe ist vergangenen Juli im Sendesaal des Hessischen Rundfunks aufgetreten. Aber er habe nur Kontakt „mit den EVIM-Leuten, mit den Schülern unterhalte ich mich nicht so“, fügt Friebe an. Auch Annette Puschmann ist beeinträchtigt. Sie tanzt bei der Choreographie mit und spielt einen Pinguin. Puschmann mag an dem Projekt die Musik und findet „die Zusammenarbeit von Behinderten und Nichtbehinderten wichtig“. Aber sie fügt an, dass es nach dem Auftritt weitergehen soll: „Ich finde man müsste sich nach dem Stück mit den Nichtbehinderten nochmal zusammensetzen. Nicht einfach dieses Projekt starten, beenden und sich dann aus dem Weg gehen. Dann wäre die Inklusion vorbei. Das wäre schade für das Projekt“.

Am Dienstag, den 13. Oktober treten die Künstlerinnen und Künstler um 19.30 Uhr im Wiesbadener Kurhaus auf. An der Abendkasse sind für das Stück „Die Schöpfung.Gemeinsam.Neu.Erleben“ noch Restkarten erhältlich.

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