Flüchtlinge

6 Vorurteile gegen Flüchtlinge im Fakten-Check

John HelferichHilfe für Flüchtlinge am Frankfurter Bahnhof: Besonders wichtig - ArabischHilfe für Flüchtlinge am Frankfurter Bahnhof: Besonders wichtig - Arabisch

Europa und insbesondere Deutschland stehen vor einer großen Herausforderung. Weltweit sind etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht. 800.000 davon kommen voraussichtlich in diesem Jahr nach Deutschland.

Männer, Frauen und Kinder aus Afghanistan, Syrien und anderen Krisenherden der Welt fliehen vor Krieg, Verfolgung und Armut. Die Reaktionen in unserem Land sind unterschiedlich. Manche ignorieren die neuen Herausforderungen. Andere nehmen sie tatkräftig an und helfen ehrenamtlich. Wieder andere reagieren mit Skepsis, Furcht, Abneigung oder gar Hass. 

Sechs Vorurteile gegen Flüchtlinge und die Fakten:

„Deutschland kann sich die Flüchtlinge nicht leisten.“
Doch, momentan schon.

Es ist richtig, dass die Aufnahme von Flüchtlinge nicht ohne Mehrkosten funktioniert. Deutschland wird grob geschätzt 10 Milliarden Euro in diesem Jahr für sie ausgeben. Doch Deutschland ist kein armes Land. Es ist die viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt. Der Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in Deutschland erwirtschaftet wurden, betrug 2014 fast drei Billionen Euro. In dieses „Bruttoinlandsprodukt“ fließen übrigens auch alle Leistungen von Ausländern, die in unserem Land arbeiten. Darunter befinden sich auch ehemalige Flüchtlinge. Deutschland gibt also nur einen Bruchteil dessen für Flüchtlinge aus, was es erwirtschaftet. Auch 2015 wird das ohne die Aufnahme von Schulden möglich sein.
Übrigens: Durch Steuerflucht und –betrug entgehen Deutschland Schätzungen zufolge jährlich 50 Milliarden Euro.

„Viele Flüchtlinge nutzen unser Asylrecht aus.“
Das verhindert ein strenges Asylrecht.

Ob einem Flüchtling in Deutschland Asyl gewährt wird oder nicht, wird nicht nach Gutdünken entschieden. Ein aufwändiger und mehrere Monate andauernder Prozess klärt, ob jemand als Asylberechtigter anerkannt wird. Laut dem Grundgesetz der Bundesrepublik genießen politisch Verfolgte Asyl, damit hat es als Grundrecht Verfassungsrang. Die Regelungen basieren zudem auf der Genfer Flüchtlingskonvention und dem europäischen Flüchtlingsrecht. Gründe für die Anerkennung sind Krieg, Menschenrechtsverletzung oder politische Verfolgung. Politische Verfolgung im Heimatstaat muss in direktem Zusammenhang mit der eigenen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung stehen. Nur wer eines oder mehrere dieser Kriterien erfüllt, hat ein Recht auf Asyl in Deutschland. Oft können Flüchtlinge Menschenrechtsverstöße in ihrem Ursprungsland nicht ausreichend nachweisen. Diese vorzutäuschen ist schwierig bis unmöglich. Gegenteil: Deutschland geht hier im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich strenger vor. Während etwa Schutzsuchende aus dem Westbalkan in Deutschland vorwiegend abgewiesen werden, wird in Italien jeder zweite anerkannt.

„Denen geht es nicht schlecht – die haben ja sogar Smartphones.“
Es ist oft ihr einziger Besitz und sie brauchen es zur Orientierung und Kommunikation.

Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, können nur wenige Dinge mitnehmen. Bei fast allen Flüchtlingen, die derzeit nach Europa und Deutschland kommen, gehört jedoch das Smartphone dazu. Oft ist es sogar der einzige Gegenstand, den sie besitzen. Das Telefon dient der Kommunikation nach Hause, der Verständigung im Ausland und der Orientierung. Doch so manche Deutsche wundern sich darüber. Handelt es sich bei einem Smartphone hierzulande doch eher um einen Luxusartikel. Doch das ist nicht überall so. Vor allem in afrikanischen Ländern ist das Mobilfunknetz deutlich weiter ausgebaut als in Europa. Dafür gibt es kaum Festnetzanschlüsse, geschweige denn ISDN oder DSL. Deshalb besitzen viele ein Smartphone. Das Smartphone hat gegenüber dem gewöhnlichen Handy einen entscheidenden Vorteil für die Menschen. Meist haben sie günstige Prepaid-Tarife, die nur die Nutzung des Internets erlauben. Sie telefonieren also übers Internet via Skype oder Whatsapp. Teure Roaminggebühren entfallen also. 

„Wir haben doch eh schon wenig Wohnraum.“
Deshalb braucht es sozialen Wohnungsbau.

Bezahlbarer Wohnraum ist in Ballungsgebieten knapp und wird immer knapper. Auch Einheimische stehen seit Jahren vor diesem Problem. Auf Dauer müssen nun auch Flüchtlinge in deutschen Städten unterkommen. Wie viele der Flüchtlinge, die derzeit in Erstaufnahmeeinrichtungen leben, auch dauerhaften Wohnraum benötigen, ist nicht klar. Doch auch ohne Zuwanderung gilt: Dort wo die Bevölkerung wächst, braucht es bezahlbaren Wohnraum. Diakonie-Vertreter schlagen deshalb vor, den sozialen Wohnungsbau insgesamt zu fördern, der den unterschiedlichen, betroffenen Bevölkerungsgruppen zu Gute kommen solle. Doch dieser ist in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zurückgegangen. Gab es vor etwa 30 Jahren noch rund 4 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, sind es derzeit weniger als 1,5 Millionen.   

„Flüchtlinge nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“
Nicht unbedingt, da Deutschland Fachkräfte benötigt.

Deutschland steckt mitten im demographischen Wandel. Das bedeutet, dass sich die Altersstruktur und die Zahl der hier lebenden drastisch verändert. Schon 2050 wird die deutsche Bevölkerung um sieben Millionen auf 75 Millionen Menschen schrumpfen. Dabei wird der Teil der Älteren, die nicht mehr arbeiten, steigen. Deutschland braucht also Arbeitskräfte – am besten junge, gut ausgebildete. Ein Großteil der Flüchtlinge, die dieser Tage in unser Land kommen, erfüllen diese Voraussetzungen. Doch sind sie nach geltendem Recht kaum in der Lage, einen Arbeitsplatz in Deutschland zu bekommen. Frühestens nach drei Monaten darf ein Flüchtling in Deutschland arbeiten. Doch bis zu anderthalb Jahre gilt das sogenannte Vorrangprinzip. Der Asylsuchende darf also keine Stelle annehmen, für die auch ein Deutscher, EU-Bürger oder ein bereits anerkannter Flüchtling in Frage kommt. In der Praxis kommt das einem Arbeitsverbot gleich. 

„Flüchtlinge führen zur Islamisierung von Deutschland.“
Fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind der Muslime, der Dialog kann Ängste abbauen.

Derzeit leben in Deutschland etwa 4 Millionen Muslime. Das ist ein Anteil von rund fünf Prozent. Schätzungen zufolge sind aktuell etwa zwei Drittel der Flüchtlinge Muslime. 2015 kommen also etwas mehr als 500.000 nach Deutschland. Insbesondere in urbanisierten Regionen – dort wo viele Muslime leben – ist zu beobachten, dass die Sorge vor dem Islam am geringsten ist. Statistiken zeigen, dass sie hingegen dort sehr hoch ist, wo wenig Zuwanderung stattfindet und wenige Muslime leben. Das ist nachvollziehbar. Wo schon lange niemand mehr hinzugekommen ist, entsteht der Eindruck, schon immer unter sich gewesen zu sein. Dabei ist die Geschichte der Menschheit und auch die Europas geprägt von Völkerwanderungen. Schon immer sind Menschen unterschiedlicher Herkunft und Konfessionen aufeinandergetroffen und haben sich zu neuen sozialen Gruppen zusammengeschlossen. Eine gute Möglichkeit, den eigenen Ängsten vorzubeugen ist es, das Gespräch zu suchen, sich  einfühlsam auch über Glaubensthemen auszutauschen. Dazu gehört auch, über den eigenen Glauben Auskunft geben zu können, sich seiner eigenen Wurzeln zu vergewissern.

David Ahlf

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