"Wenn es mich erwischt, sterbe ich"

Corona-Krise: Telefonseelsorgen haben verstärkt Zulauf

AlexKalina/istockphoto.comTelefontastenFinger drückt die 8 auf einem Telefon

Das Coronavirus bestimmt zunehmend die Arbeit der Telefonseelsorge. Innerhalb einer Woche ist der Anteil der Gespräche, die sich in der Telefonseelsorge Darmstadt um den Virus drehen, von fünf auf 30 Prozent gestiegen. Mitarbeiter müssen dabei oft einen ganzen "Angstberg" der Anrufer sortieren.

Auch die Evangelische Telefonseelsorge in Frankfurt hat verstärkt Zulauf. Hier stieg die Zahl der Anrufer im gleichen Zeitraum von sieben auf 25 Prozent, bei der Ökumenischen Telefonseelsorge in Mainz/Wiesbaden von zwölf auf 25 Prozent.

Pfarrer: "Das habe ich noch nicht erlebt"

Es sei extrem selten, dass ein Thema so sehr in die Höhe schnelle, sagte Jochen Kreyscher, Pfarrer im Evangelischen Dekanat Mainz und Mitglied des Leitungsteams der Ökumenischen Telefonseelsorge, auf Anfrage der Evangelischen Sonntags-Zeitung. »Ich kann mich nicht erinnern, so etwas schon einmal erlebt zu haben«, fügte er hinzu.

Mitarbeiter müssen einen "Angstberg" sortieren

Die Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen der Einrichtung Mainz/Wiesbaden führen täglich etwa 60 Gespräche. Häufig ginge es um eine Kombination von Corona mit Einsamkeit oder Angst. Bei den 50- bis 79-Jährigen überwiege nach Kreyschers Worten das Thema Angst, bei den unter 40-Jährigen und den Anrufern über 80 das Thema Einsamkeit und soziale Isolation.

Die Menschen hätten Angst, sich zu infizieren oder zu erkranken oder sie sorgten sich um ihre Angehörigen. »Unsere Mitarbeiter müssen in den Gesprächen einen Angstberg sortieren, und die Anrufer müssen einen Weg finden, mit ihrer Angst umzugehen, sagte Kreyscher. Die Telefonseelsorge habe keine Lösungen im Angebot, aber die Gespräche wirkten entlastend.

"Wenn es mich erwischt, sterbe ich"

Von einer »enorm hohen Verunsicherung« spricht Ralf Scholl von der Geschäftsführung der Telefonseelsorge Darmstadt. »Wenn es mich erwischt, sterbe ich«, habe ein Anrufer mit einer Vorerkrankung gesagt. Andere sorgen sich, weil sie nicht wissen, wie lange sie noch ihre Wohnung verlassen dürfen oder wer für sie einkaufen geht. Einige befürchten auch, dass niemand mehr sie besuchen kann. »Menschen mit einer Panikstörung reagieren besonders stark«, sagte der Theologe und Pastoralreferent Scholl. Wichtig sei, dass sie zum Hörer greifen. Wenn es den Anrufern gelinge, zur Telefonseelsorge Kontakt aufzunehmen, gebe es die Hoffnung, dass sie das auch bei anderen Menschen schaffen.

Telefonseelsorgen halten normalen Betrieb aufrecht

Die Zahl der Anrufe in Darmstadt ist mit rund 240 pro Woche unverändert. Mehr seien aufgrund der Leitungskapazitäten auch nicht möglich, sagte Scholl. Die Einrichtungen in Mainz/Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt halten zurzeit ihren normalen Betrieb aufrecht. Absagen von Ehrenamtlichen habe es bislang nur sehr wenige von Menschen gegeben, die eine Vorerkrankung haben und zu Hause bleiben sollen, sagte Pfarrerin Bettina Tarmann von der Evangelischen Telefonseelsorge in Frankfurt. Für sie bestehe kaum Ansteckungsgefahr während der Arbeit, weil sie alleine in einem Raum telefonieren. Kritisch sei die Anfahrt.

Was ist, wenn eine Ausgangsperre kommen sollte?

Unklar ist nach Tarmanns Worten derzeit, was aus der Telefonseelsorge im Falle einer Ausgangssperre wird. Denn die Ehrenamtlichen telefonieren grundsätzlich nicht von zu Hause aus. Zum einen geht es dabei um Anonymität, zum anderen sollen die Helfenden die Probleme der Anrufer nicht mit nach Hause nehmen. Sie hoffe, deshalb dass es für helfende Einrichtungen dann eine Ausnahmeregelung geben wird.

Man überlege bereits, wie die Kooperation mit anderen Einrichtungen verstärkt werden könnte. »Wir wollen den Telefondienst auf jeden Fall aufrecht erhalten«, betonte Tarmann. Einsamkeit sei schon ohne Corona ein zunehmendes Thema. Während der aktuellen Verunsicherung, bei der niemand wisse, wie es weitergehe, bräuchten die Betroffenen erst recht die Möglichkeit, mit jemanden zu reden.

(Text von Renate Haller)

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