Frühjahrssynode

Jung: „Christen sind immer politisch gefordert“

Esther Stosch

Seit heute morgen tagt die Frühjahrssynode der EKHN. Der Bericht des EKHN-Kirchenpräsidenten zur Lage in Kirche und Gesellschaft stand unter dem Titel „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“.

Esther StoschEKHN-Kirchenpräsident Jung auf der Synode

Frankfurt a.M., 8. Mai 2014. Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Dr. Volker Jung, hat sich am Donnerstag vor der in Frankfurt am Main tagenden Synode für eine gesellschaftspolitisch engagierte Kirche ausgesprochen. In seinem Bericht zur Lage in Kirche und Gesellschaft unter dem Titel „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ sagte er, dass es eine wichtige Aufgabe der Kirche sei, sich „öffentlich zu Wort zu melden und einen Beitrag zur Entscheidungsfindung in unserer pluralen Gesellschaft zu leisten“. Gleichzeitig sei „prophetische Wachsamkeit“ gefragt, um auf mögliche Fehlentwicklungen hinzuweisen. 

Politisches nicht religiös überhöhen und Religiöses nicht politisieren

Nach Jungs Worten ist es wichtig, dass die evangelische Kirche bei ihren öffentlichen Äußerungen „nicht parteipolitisch argumentiert, sondern an der Sache orientiert bleibt, in einem theologischen Begründungshorizont steht und über das politische Tagesgeschäft hinausweist“. Das Christsein sei „immer politisch, weil uns als Menschheit diese Welt anvertraut ist und wir dazu bestimmt sind, in Gemeinschaft miteinander aus der Kraft des Friedens Gottes und auf seinen Frieden hin zu leben“, sagte Jung weiter. Er warnte aber zugleich davor, „das Politische religiös zu überhöhen oder das Religiöse zu politisieren“.

Engagement aller in einer Demokratie unverzichtbar

Jung wies in seinem Beitrag, der sich mit dem Verhältnis von Kirche und Politik auseinandersetzte, darauf hin, dass die Kirche viele Aufgaben in der Gesellschaft übernommen habe. Als Beispiele dafür nannte er die Trägerschaft von Kindertagesstätten und Krankenhäusern oder den Einsatz in der Bildungsarbeit. Dieses Engagement sei ein „unverzichtbarer Teil einer demokratischen Gesellschaft, die geistige, weltanschauliche, soziale und organisatorische Pluralität als Reichtum und als notwendige Ressource ansieht“. Die Kirche finde sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Staat schließlich in einer Rolle als „Partner“ und zugleich als „kritisches Gegenüber“ der Politik wieder. 

Kirchenmitglieder sollen sich an Europawahlen beteiligen 

Grundvoraussetzung für eine kirchliche Beurteilung von politischen Fragen muss nach Worten des Kirchenpräsidenten die Orientierung an der biblischen Botschaft sein.. Dazu gehöre der besonderen Blick auf die Schwachen und diejenigen am Rand der Gesellschaft. Zugleich müssten alle Menschen als Kinder Gottes mit gleicher Würde und gleichen Rechten verstanden werden. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation, Glaubensgemeinschaft, einem Geschlecht oder einer sexuellen Prägung dürfte niemand benachteiligen. Als Herausforderung sieht Jung auch, kirchliche Positionen heute „anschlussfähig für diejenigen zu halten, die unsere theologischen Begründungen nicht teilen“. Jung appellierte angesichts der bevorstehenden Europawahlen auch an die Kirchenmitglieder, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Ich habe den Eindruck, dass vielen zu wenig bewusst ist, dass es der europäische Gedanke war, der den Frieden in Europa gesichert und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt gebracht hat“, so Jung. 

Willkommenskultur und Änderung der EU-Grenzpolitik nötig

Der Kirchenpräsident nahm in seinem Bericht auch Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen. So warb Jung angesichts der weltweit rund 45 Millionen Flüchtlinge für eine Willkommenskultur in Deutschland auch für Flüchtlinge und für eine Neuorientierung in der europäischen Flüchtlingspolitik. Um Schleuserbanden das Handwerk zu legen, seien verbesserte legale Einreisemöglichkeiten nötig. Außerdem müssten die bisherigen europäischen Regelungen überdacht werden, nach denen alleine das Erst-Aufnahmeland für die Hilfesuchenden zuständig ist. Für viele Menschen bedeute dies, dass sie nach ihrer Flucht in Europa eine anschließende Odyssee erlebten. 

Marktwirtschaft sozial und ökologisch weiterentwickeln 

Jung sprach sich auch für eine Weiterentwicklung der Marktwirtschaft aus. Sie müsse vor allem in sozialer Hinsicht überdacht werden, um die Armut zu bekämpfen. Eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich gefährde den sozialen Frieden. Jung kritisierte hier auch die Ende Februar vorgestellte ökumenische Sozialinitiative. Sie habe die ungerechte Vermögensverteilung nicht genügend beleuchtet. Auch die Hartz-IV-Gesetze würden zu positiv beurteilt „Es hat einen Grund, warum seitdem die Zahl der Tafeln, Sozialkaufhäuser und Einrichtungen für die Obdachlosenspeisung gestiegen sind“, so Jung. Der besondere Blick auf die Armen könne „eine Perspektive sein, die der gesamten Gesellschaft gut tut“. Zudem sollten künftig bei der Marktwirtschaft ökologische und globale Aspekte viel stärker mitbedacht werden.

Familien nicht durch moralische Apelle, sondern konkrete Politik stärken

Vor der Kirchensynode verteidigte Jung die von ihm mitverfasste Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familien als verlässliche Gemeinschaft stärken“. Hauptziel sei es gewesen, danach zu fragen, was politisch in Gesellschaft und in Kirche geschehen müsse, damit Menschen „Familie leben“ könnten. Familien würden in ihrem Zusammenleben als Familie „nicht durch kirchlich-moralische Appelle gestärkt, sondern durch eine hilfreiche Gestaltung von Lebensbedingungen“. Dazu gehöre, dass Familie und Beruf besser vereinbart werden können oder persönliches Engagement in der Erziehung oder der Pflege gesellschaftlich stärker anerkannt würde. Wichtig sei auch der besondere Schutz der Sonn- und Feiertage, um gemeinsame Zeiten füreinander zu ermöglichen. Es sei folgerichtig, dass Familienpolitik nicht als „Anhängsel der Sozialpolitik“, sondern als „tragende Säule der Sozialpolitik“ begriffen werden müsse. Jung appellierte auch an die katholische Kirche, das Familienthema weiterzuführen und nicht auf die Frage der Zulassung Geschiedener zur Eucharistie zu reduzieren. Äußerungen von Papst Franziskus machten diesbezüglich aber Mut, so Jung. 

Internationale Sicherheitspolitik friedensorientiert denken

Der Kirchenpräsident plädierte auch für ein stärkeres Mitbedenken von friedensethischen und diplomatischen Möglichkeiten in der Sicherheitspolitik. Der Einsatz in Afghanistan habe gezeigt, dass ein friedenspolitisches Konzept unter Einschluss von Szenarien für die Beendigung der Intervention gefehlt habe. Jung könne schließlich die Forderung nach einem größeren internationalen Engagement Deutschlands nur bejahen, „wenn ein absoluter Vorrang der zivilen Mittel vor den militärischen gewahrt bleibt und wenn die militärischen Einsätze konsequent an friedensethischen Grundsätzen gemessen werden.“ Er machte deutlich, dass Waffen nur als „ultima ratio“ und zum Schutz der Menschen eingesetzt werden dürften wie etwa im Südsudan, um einen Völkermord zu verhindern.

Ausbau der Palliativmedizin statt aktiver Sterbehilfe gefragt

Jung lehnte beim Thema Sterbehilfe eine gesetzliche Regelung ab, die aktive medizinische Unterstützung ermöglicht, wenn Menschen in einer aussichtslosen Situation ihr Leben beenden möchten. Er befürchte einen „Missbrauch, der in Richtung der aktiven Sterbehilfe“ gehen könne. Es gehe zudem darum zu verhindern, dass Menschen „manipulativ in eine Situation gebracht werden, für sich oder andere zu entscheiden, das Leben aktiv zu beenden“. Nach christlichem Verständnis bleibe das Leben ein unverfügbares Geschenk und habe höchsten Respekt verdient. Dabei sollten alle palliativ-medizinischen Möglichkeiten genutzt werden, um unnötiges Leiden zu verhindern. Würdige und respektvolle Sterbebegleitung sei „immer eine persönliche Herausforderung aber zugleich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Jung hält eine flächendeckende palliativ-medizinische Versorgung und die Einrichtung von mehr Hospizen deshalb für dringend nötig.

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