Kirchenpräsident Jung predigt zum Erntedankfest

„Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können“

Friedberg, 4. Oktober 2009. In seiner Predigt zum Erntedanktag am Sonntag hat Kirchenpräsident Dr. Volker Jung auf die Notlage der Milchbauern hingewiesen. Im Gottesdienst in der Friedberger Stadtkirche sprach er auch über das persönliche Leid der betroffenen Familien. Wörtlich sagte er: „Der Ruin der Bauernhöfe wäre eine menschliche Tragödie, die das Lebenswerk ganzer Generationen vernichtet.“

Milch sei das wichtigste Erzeugnis der hessischen Landwirte. 4000 Milchbauernhöfe gebe es in Hessen. Von der Krise betroffen seien im Gebiet der EHKN insbesondere mittelgroße Familienbetriebe, die die Hanglagen der Mittelgebirge bewirtschafteten. Jung wies darauf hin, dass deren Arbeit sowohl für die Landschaftspflege als auch für die Ernährungssicherheit Europas gebraucht werde. Jung warnte, die gesamte Gesellschaft werde verlieren, wenn in den Mittelgebirgen das Grünland nicht mehr gepflegt werde und wenn aufgrund von großen Monokulturen Pflanzen- und Tierarten in weiten Bereichen verschwänden. Zu berücksichtigen sei auch die Ernährungssicherheit Europas. „Ohne eine vitale einheimische Landwirtschaft wird Europa ähnlich wie beim Öl abhängiger von Importen, die nicht unbedingt sicher sind“ warnte Jung und forderte, dass sich die EU am Leitbild „einer multifunktionalen Landwirtschaft orientiert, bei der verschiedene gesellschaftliche Leistungen der Höfe berücksichtigt werden“. In einem solchen Konzept könnten Milchviehbetriebe verschiedenen Typs auch in Zukunft ihren Platz finden. Gegenwärtig seien Bauern mit mittelgroßen Betrieben „strukturell chancenlos“.

Lösungen wollen und finden

Jung appellierte an die Verantwortlichen in der Agrarpolitik, „Lösungen zu wollen und zu finden“. Es ginge nicht darum, aus falscher Sentimentalität unrentable Höfe künstlich am Leben zu erhalten, sondern es gehe darum, Höfe, die rentabel arbeiten könnten, jetzt über die Krise zu helfen.

Jung predigte, dass in einer Notlage „Trostversuche von außen schal und bitter schmecken können“, dennoch zeigte er sich überzeugt, dass „gerade in Momenten ohne Zuversicht und Lebensmut Kraftquellen wie der Glaube an Gottes Güte zum Vorschein kommen können“. Das könne auch helfen, „den Aufbruch in ein ganz anderes und tragfähiges Lebenskonzept zu wagen“.

Menschliche Arbeit und Gottes Handeln

Das Erntedankfest rege dazu an, das Handeln Gottes und das eigene Arbeiten zusammen zu denken. Wörtlich sagte Jung: „Gott schenkt Leben, Wachstum und Gedeihen. Jeder Tag ist ein Geschenk aus Gottes Hand.“ Dieses Geschenk gelte es zu pflegen und sinnvoll zu nutzen. Deshalb müsse immer wieder kritisch geprüft werden, wie Menschen produzierten und landwirtschaftlich tätig seien. „Nach wie vor gelte Gottes Verheißung, dass Saat und Ernte niemals aufhören werden. Seine Verheißung werde für die Menschen zum Auftrag, zum Beispiel die Landwirtschaft so zu organisieren, dass diejenigen, die darin arbeiten, davon leben können. Jung forderte: „Wir müssen sicherstellen - und das gilt für alle Lebens- und Arbeitsbereiche - dass Menschen von ihrer Arbeit leben können.“

Hintergrund: Verfall der Milchpreise

Der Milchpreis ist infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise auf derzeit etwa 20 Cent pro Liter gefallen. Ihnen stehen Produktionskosten von etwa 35 Cent pro Liter - in Gebirgslagen auch höher - gegenüber. Nach Einschätzung der Agrarexpertin der EKHN Dr. Maren Heincke könnte die EU den Milchbauern helfen die Krise zu überstehen - aber sie tut es nicht. Als Folge der EU-Politik rechnet Heincke damit, dass viele Betriebe Pleite gehen, die eigentlich eine Zukunftsperspektive haben. Offenbar beabsichtige die EU jetzt eine rasche Entwicklung, die im kühlen Wirtschaftsdeutsch als Marktbereinigung bezeichnet werde. Schnell sollen wenige große Betriebe entstehen, die auf den globalisierten Weltmärkten konkurrenzfähig sein sollen. Dies gehe nur auf Kosten vieler kleiner Höfe, die dafür weichen müssten. Dabei gäbe es sinnvolle Marktinstrumente. Ein Maßnahmenmix könnte vielen Betrieben die Zeit für einen zukunftsfähigen Umbau eröffnen. So habe es die EU mit dem von ihr definierten Ziel einer „sanften Landung“ auch ursprünglich angestrebt.

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