Interview

Mit digitalen Medien gegen Mitgliederschwund kämpfen

EKHN/NeetzKirchenpräsident Volker Jung

Ob Kirchenaustritte oder soziale Medien, Flüchtlinge oder Rechtspopulismus - den Kirchenpräsidenten Volker Jung treiben bestimmte Themen auch im neuen Jahr um. Dabei hat er Hoffnung für die Zukunft.

Zum Jahresschluss spricht der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung über kommende Veränderungen in der Kirche und das Vorbild Afrika in der Integration von Flüchtlingen. Außerdem äußert er sich im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zur Notwendigkeit einer Regulierung der sozialen Medien im Internet und zur Bedrohung der Demokratie durch den Rechtspopulismus.

Herr Kirchenpräsident, mehr Kirchenmitglieder sterben als neue getauft werden, und die Austrittszahlen sind gestiegen gegenüber dem Vorjahr. Bedrückt Sie das?

Volker Jung: Ja, das bedrückt mich. Und ich denke darüber nach, was wir tun können, um diesem ganz deutlich erkennbaren Trend etwas entgegenzusetzen.

Was können Sie tun?

Jung: Ich glaube nicht, dass es das eine Rezept gibt oder die eine Strategie, die von heute auf morgen eine Trendwende herbeiführt. Die demografische Entwicklung lässt sich ohnehin nicht ändern. Was wir aber tun können, ist, die Verbindung zu unseren Kirchenmitgliedern noch zu steigern. Aus unseren Untersuchungen wissen wir, dass dort, wo Menschen persönliche Kontakte zur Kirche haben, eine geringere Austrittsneigung besteht.

Wie können Sie die Kontakte verstärken? 

Jung: Für mich ist es zurzeit eine der großen Herausforderungen, wie wir es hinbekommen, digitale Kommunikation mit analoger Kommunikation zu verbinden. Die digitale Kommunikation bietet große Chancen - insbesondere für den Kontakt mit jüngeren Menschen. Entscheidend wird aber sein, den digitalen Kontakt etwa mit einer Kirchengemeinde zu nutzen, um menschliche Begegnungen zu stärken.

Wann kommt der Zeitpunkt, an dem die Kirche die Verbeamtung der Pfarrerinnen und Pfarrer aufgeben muss?

Jung: Der Beamtenstatus von Pfarrerinnen und Pfarrer ist ein Teil des Berufsbildes. Er hat eine hohe Bedeutung, weil damit auch der Auftrag verbunden ist, mit innerer Freiheit und Unabhängigkeit für alle Menschen da zu sein. Trotzdem wird vermutlich wegen der damit verbundenen finanziellen Belastung für die nächsten Generationen schon innerhalb der nächsten Jahre eine Debatte darüber geführt werden müssen, ob wir die Versorgung der Pfarrerinnen und Pfarrer wirklich in dieser Form aufrechterhalten können, wie wir es jetzt tun. Die Frage wird sein, ob nicht etwa eine Versicherung über die staatliche Rentenversicherung der Weg ist, der in Zukunft mehr Spielräume eröffnet.

Sie waren dieses Jahr in Südafrika und haben dort über die Aufnahme von Flüchtlingen mit den Partnerkirchen gesprochen. Welche Erkenntnisse haben Sie mitgebracht?

Jung: Von Europa aus wird Afrika immer als der Kontinent wahrgenommen, von dem aus offenbar alle Bewohner nach Europa kommen wollten. Das sieht in Afrika selbst völlig anders aus. Zum einen wird eine solche Sichtweise als eine neue Form des Kolonialismus erlebt. Sie ist geprägt von einer europäischen Überheblichkeit. Ganz vielen Afrikanerinnen und Afrikanern liegt natürlich daran, auf ihrem Kontinent zu bleiben. Zum anderen verkennt das auch, dass es eine große afrikanische Binnenmigration gibt. Viele afrikanische Länder engagieren sich selbst massiv bei der Aufnahme von Flüchtlingen

Können wir Deutsche in der Flüchtlingsarbeit von den Afrikanern lernen?

Jung: Ich bin immer wieder beeindruckt, welche hohe Aufnahmebereitschaft afrikanische Länder haben. Sicher, es sind andere Verhältnisse in Afrika - auch hinsichtlich der Versorgung von Flüchtlingen. Aber die grundlegende Offenheit, Migration als Herausforderung anzunehmen und zu gestalten, ist meines Erachtens in Afrika stärker ausgeprägt als bei uns.

Wie kann die evangelische Kirche hier in Deutschland dazu beitragen, dass Menschen, die neu hierherkommen, und Menschen, die schon hier sind, Heimat erleben und sich nicht in der Fremde fühlen? 

Jung: Zum einen ist es außerordentlich wichtig, alles zu stärken, was Integration möglich macht und möglichst wenige Integrationshürden aufzubauen. Da ist für mich an erster Stelle die nach wie vor problematische Situation des Familiennachzugs zu nennen. Menschen, denen es verwehrt wird, mit ihrer Familie zusammen zu sein, wird auch die Integration erschwert. Es kommt zu hohen psychischen Belastungen. Zum anderen ist wichtig, dass Kirchengemeinden mit dazu beitragen, dass Menschen hier eine neue Heimat finden. Das bedeutet auch, bereit zu sein, sich selbst als Gemeinde weiterzuentwickeln und zu verändern.

Sie haben bei vielen Gelegenheiten davon gesprochen, dass man die Digitalisierung aller Lebensbereiche aktiv gestalten muss. Wie kann die Kirche etwas zur Entwicklung einer Ethik im digitalen Zeitalter beitragen?

Jung: Eine Grundvoraussetzung ist die, dass man sich selbst in der digitalen Welt bewegt. Die lässt sich nicht von außen mitgestalten, das kann man nur, wenn man auch digitale Technologie nutzt. Das tun wir als Kirche längst in unserer Verwaltung, aber auch in der Kommunikation. Mit diesem Erfahrungshintergrund ist es nötig, die Fragen zu stellen: Wie kann Technik so genutzt werden, dass sie menschendienlich ist und menschliches Leben verbessert und nicht neue Abhängigkeiten erzeugt?

Was heißt das konkret?

Jung: Die konkreten Fragen fangen ganz unmittelbar im persönlichen Bereich an: Wie kann ich die eigene Nutzung des Smartphones oder des Tablets so steuern, dass sie hilfreich und gut eingesetzt wird? Das gilt etwa für den Alltag in den Familien. Sie darf dort die persönliche Kommunikation nicht ersticken. In vielen Familien ist das gerade ein großes Thema. Und für viele ist es auch die Frage: Muss ich und will ich immer und überall online sein?

Wer soziale Medien nutzt, liefert sich wenigen Konzernen aus, die die Bedingungen diktieren, unter denen diese Kommunikation stattfindet. Gibt es in der Kirche Ideen, Fragen an diese Unternehmen zu richten oder an die Politik?

Jung: Der Ansatzpunkt ist erst einmal, sich klarzumachen: Dort, wo ich digitale Angebote kostenfrei nutze, bezahle ich mit meinen Daten. Darüber müssen wir mehr Klarheit gewinnen. Das heißt in einem ersten Schritt, über das eigene Verbraucherverhalten nachzudenken. Und in einem zweiten Schritt muss überlegt werden: Muss es gesetzliche Vorgaben geben, die genau das ermöglichen? Wie müssen etwa bei sozialen Medien die Abfrage- und Steuerungsmöglichkeiten sein, über die ich selbst verfüge? Da sehe ich ein Riesenproblem. Wenn Sie heute irgendwo im Internet unterwegs sind und plötzlich einen Haken machen müssen bei „ich akzeptiere“, dann sind das ellenlange Bestimmungen, die kein Mensch lesen kann. Das kann nicht sein. Ich müsste viel klarer erkennen, worüber entscheide ich jetzt und wo stimme ich zu und worüber nicht.

Es gibt nur wenige Alternativen zu sozialen Medien, die viele Menschen nutzen, wie Facebook und WhatsApp. Könnte die Kirche mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen Alternativen auf Gemeinwohlbasis entwickeln?

Jung: Das geschieht ja - allerdings in ganz begrenztem Umfang. So entwickelt die Deutsche Bibelgesellschaft beispielsweise eine Konfirmanden-App, die auch geschützte Kommunikation in einer Gruppe ermöglicht. Bei uns ist ein spezielles Portal für Kirchengemeinden und Dekanate in Planung. Das würde eine Kommunikation innerhalb von Kirchengruppen ermöglichen, ohne sich dabei an Datenkonzerne auszuliefern. Inwieweit das allerdings in einem größeren Maßstab erfolgreich umzusetzen ist, das ist für mich eine spannende Frage. Wir experimentieren. Es wird nur dann ein erfolgreicher Weg, wenn er auch von entsprechend vielen genutzt wird.

Welches Thema wird Sie über die angesprochenen hinaus im nächsten Jahr vorrangig beschäftigen?

Jung: Die allgemeine politische Situation macht mir große Sorgen und ist meines Erachtens eine große Herausforderung für die Kirche, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Den erstarkten Rechtspopulismus halte ich für eine wirkliche Bedrohung der Demokratie. Und deswegen ist es für mich eine ganz wesentliche Herausforderung, mit daran zu arbeiten, dass wir Demokratie stärken. Wir müssen vor allem junge Leute dafür gewinnen und ihnen klarmachen, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern immer wieder neu gestaltet werden muss.

Wie kann die Kirche Demokratie stärken?

Jung: Einmal durch Demokratie in der Kirche. Es gibt nicht wenige junge Leute, die ihre ersten demokratischen politischen Erfahrungen im Raum der Kirche machen. Da ist die Jugendverbandsarbeit eine ganz wichtige Säule oder auch die Integration von jungen Leuten in Kirchenvorständen. Darüber hinaus ist es aber auch ganz wichtig, dass Menschen sich in der Politik engagieren, in politischen Parteien, die mit einem hohen Demokratiebewusstsein agieren. Ich habe aber Hoffnung, dass das gelingt. Die Jugend heute ist längst nicht so unpolitisch, wie sie auf den ersten Blick für viele scheint.

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