Kirchenasyl

Muslime finden Schutz hinter kirchlichen Mauern

Charlotte SchulzeHier hat eine somalische Familie Kirchenasyl gefundenHier hat eine somalische Familie Kirchenasyl gefunden

Einer fünfköpfigen Familie aus Somalia droht die Abschiebung nach Italien. Die Pfarrfamilie Bernbeck in Billertshausen gewährt den Flüchtlingen Kirchenasyl in ihrem Haus.

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Charlotte SchulzeDie Somalierin Naima kocht im Kirchenasyl für ihren Mann und die drei KinderDie Somalierin Naima kocht im Kirchenasyl für ihren Mann und die drei Kinder

Somalia, 2011. Es herrscht Bürgerkrieg, Hunger und Verzweiflung. In dem ostafrikanischen Land gibt es keine funktionierende Zentralregierung, statt dessen Warlords, Milizen und Rebellen. Die humanitäre Lage ist katastrophal: 70 Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mehr als eine Millionen Menschen sind 2011 aus Somalia geflohen.

Deutschland, 2013. Billertshausen in Hessen, ein idyllisches 200-Seelendorf. Gepflegte alte Fachwerkhäuser säumen die Straßen. Damit das so bleibt, fegt ein Mann den Bürgersteig vor seinem Haus. An Krieg oder Hunger denkt hier niemand. Am Pfarrhaus in der Dorfmitte und der dahinter liegenden Scheune ranken grüne Weinblätter vor der roten Fassade in die Höhe. Im lauen Frühsommerwind wehen an einer Wäscheleine im Pfarrhof bunte Tücher und Kinderkleidung.

Unterschiedlicher könnten diese beiden Orte nicht sein: Somalia und Billertshausen in Deutschland. Doch gibt es etwas, das sie verbindet: Die Tücher und Kinderkleider an der Wäscheleine gehören keinen gebürtigen Billertshausenern: Sie gehören einer Flüchtlingsfamilie aus Somalia, die im kleinen Billertshausen, in der Scheune im Pfarrhof, die zu einem Jugendraum umfunktioniert wurde, Unterschlupf gefunden hat. Die Familie soll hier vor der drohenden Abschiebung geschützt werden. Hier bei Pfarrer Walter Bernbeck und seiner Frau Ursula. 

Flucht nach Europa

Somalia 2011. Der neunundzwanzigjährige Mohammed beschließt, dass er in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land nicht länger leben will. Er möchte seiner Frau Naima und seinen ungeborenen Kindern ein besseres Leben bieten. Sie fliehen: Über Äthiopien, den Sudan und Libyen nach Italien. Zu Fuß, mit dem Bus, im Auto und schließlich die letzte und gefährlichste aller Routen, mit dem Schiff über das Mittelmeer. Einen Monat dauert es, bis sie ihr Ziel erreichen: Europa. Genauer: Lampedusa, die für ihre Flüchtlingslager berüchtigte Insel im Mittelmeer vor Sizilien. Sie sind jetzt nicht mehr zu zweit, sondern zu dritt. Achmed, der erste Sohn, wurde auf der Flucht geboren. 

Menschenunwürdige Bedingungen für Flüchtlinge in Italien 

Doch in Italien trifft die Familie die Härte der italienischen Flüchtlingspolitik. Nach einigen Monaten Aufenthalt in einem Flüchtlingslager, in dem es weder Milch noch Windeln für Achmed gibt, geschweige denn akzeptable hygienische Bedingungen, werden sie im Januar auf die Straße gesetzt. Arbeiten dürfen sie als Flüchtlinge ohne Status nicht. Sie sind ohne Essen, haben kein Dach über dem Kopf, sind mittellos und ohne Arbeit, beherrschen die Sprache nicht, haben keinen Rechtsstatus und sind ohne ärztliche Versorgung. Naima ist erneut schwanger, dieses Mal mit Zwillingen. Die junge Familie aus Somalia ist verzweifelt. Wieder fasst Mohammed einen Entschluss.

In Italien kann und möchte er nicht bleiben. Für Mohammed und Naima ist klar: „Nie wieder wollen wir in dieses Land, nach Italien zurück. Dann lieber wieder ganz nach Hause.“ Im Januar 2012 machen sie sich auf den Weg nach Deutschland. Hier erhoffen sie sich bessere Bedingungen. 

Flüchtlinge haben keine Rechte

In Deutschland kommen sie zunächst in einem Flüchtlingsheim im hessischen Treysa unter. Aber auch hier wird der Aufenthalt nicht von Dauer sein. In der EU gilt die Dublin-II-Verordnung. Danach müssen Flüchtlinge in dem europäischen Land ein Asylverfahren beantragen, in dem sie zuerst angekommen sind. Bei Mohammed und seiner Familie ist das Italien. Und ginge es nach dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Verwaltungsgericht in Kassel, sollen sie dorthin auch so schnell wie möglich zurück. So verweigerte das BAMFS bis heute die Annahme eines Asylantrags. Das soll Italien machen. „Für die Behörden sind Mohammed, Naima und die Kinder nur irgendwelche Namen auf einem Papier. Die Schicksale, die dahinter stehen, werden völlig ausgeblendet.“, erzählt Ursula Bernbecker, die Pfarrfrau. Es musste erst eine Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Februar 2013 erfolgen, bis die Bundesregierung sich dem Fall Mohammed und seiner Familie widmete. 

„Ich schäme mich für mein Land“

Der EGMR betont in einem Schreiben an die Bundesregierung, dass die Familie als Schutzsuchende nicht einfach wieder nach Italien abgeschoben werden könne, wo ihnen erneut ein menschenunwürdiges Leben drohe.

Die Bundesregierung gab daraufhin in einer Stellungnahme bekannt, dass veranlasst wurde, dass Mohammed, seine Frau und Kinder nach Ankunft in Italien zunächst betreut würden. Die Familie werde in Italien gut versorgt werden, in einer Flüchtlingsunterkunft mit Sprachkursen und Kinderbetreuung. Doch wie lange sie dort bleiben können, bleibt unerwähnt. Schon nach wenigen Tagen, Wochen oder Monaten könnten sie erneut mittellos auf der Straße stehen. Auch fehlt für diese Zusicherung bislang die schriftliche Bestätigung aus Italien. „Ich schäme mich für mein Land, die eine Familie mit drei Kindern in eine so unklare Situation abschieben wollen, “ entrüstet sich ein Billertshausener. 

Kirchenasyl verhindert drohende Abschiebung

Nachdem zuvor der Tag der Abschiebung dreimal verschoben werden konnte, sieht es im März 2013 für die somalische Familie nicht gut aus. Die Vorgaben des EGMR habe die Bundesregierung erfüllt, bestätigt dieser selbst. Dieses Mal scheinen die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Der mittlerweile fünfköpfigen Familie droht die Abschiebung nach Italien.

Mitglieder der Gruppe Pro-Asyl in Alsfeld, die die Familie betreut haben und Flüchtlingen beim Bearbeiten von Asylanträgen,  der Wohnungssuche und Familienkrisen zu Seite stehen, wollen dabei nicht tatenlos zu sehen. Pfarrer Walter Bernbeck, 58 Jahre alt, und seine Frau Ursula Bernbeck, 53, erklären sich mit Unterstützung der Kirchengemeinde Billertshausen und der EKHN dazu bereit, der Familie aus Somalia Kirchenasyl zu gewähren. „Alles andere wäre menschenunwürdig gewesen“, meint Ursula Bernbeck.

Schutz hinter kirchlichen Mauern

Um Mohammed, Naima und ihre Söhne Achmed, Abdullah und Isaak vor einer gezwungenen Ausreise in eine ungewisse Zukunft zu schützen, bringt das Ehepaar Bernbeck sie bei sich im Pfarrhaus unter, später im Jugendraum im Hinterhof des Hauses. Hier lebt die Familie aus Somalia nun seit über zwei Monaten und hofft, dass die Bundesregierung ein Asylverfahren einleitet. Haus und Hof verlassen, auf die Straße, in den Supermarkt an der Ecke oder gar in die nächste Stadt gehen, das dürfen sie nicht. Denn dann könnten sie von der Polizei aufgegriffen und unverzüglich abgeschoben werden. Sie leben ohne Rechtsstatus. Nur die kirchlichen Mauern bieten ihnen Schutz. „Manchmal fühle ich mich, als säße ich im Gefängnis, “ meint Mohammed. 

Hilfsbereite Billertshausener

Trotzdem ist er froh. Dem Jugendraum, in dem eine Couchgarnitur und ein Bett stehen, sind eine Küche und ein Bad angeschlossen. „Die Menschen hier sind sehr nett. Wenn ich sage, dass wir was brauchen, bringen sie es uns sofort.“ Auf Spenden ist die somalische Familie momentan auch angewiesen. Und an hilfsbereiten Menschen mangelt es in Billertshausen und Umgebung nicht. „Die Leute bringen Spielsachen und Kinderklamotten oder einen Zwillingskinderwagen vorbei“, berichtet Ursula Bernbeck. „Eine Frau aus dem Dorf gibt der Familie Deutschkurse. Ein Arbeitskollege hat uns auch etwas Geld rübergeschoben. Es ist eine erstaunlich große Bereitschaft da, der Familie helfen.“

Das Essen zahlt das Ehepaar zum Teil aus eigener Tasche, zum Teil mithilfe von Geldern der EKHN. Am liebsten wäre Mohammed, wenn er auf die Spenden nicht mehr angewiesen wäre. Er ist jung, will und kann einer Arbeit nachgehen, eine Ausbildung machen: „Ich wünsche mir, dass ich meine Familie versorgen kann, dass die Kinder und wir die Sprache lernen und: Dass wir hier in Deutschland bleiben können.“

Pfarrfamilie vermisst deutsche Willkommenskultur

„Es heißt immer, in Deutschland hätten wir eine Willkommenskultur. Von der haben wir bislang aber noch nichts gemerkt, “ erzählt Ursula Bernbeck. „Wir haben viele Flüchtlinge hier in der Umgebung, die Zeit, Kraft und die Motivation haben, zu arbeiten.“ Pfarrer Walter Bernbeck ergänzt: „Es wäre doch nur logisch und gut, die Menschen, die eh schon hier sind, auch zu fördern. Indem der kleine Achmed jetzt in einer Betreuung Deutsch lernen würde.“

Einer Arbeit nachgehen, das ist für Asylbewerber ein Jahr lang und für Flüchtlinge ohne jeglichen Status nicht möglich. Selbst der Status eines Asylbewerbers bleibt der Familie so lange verwehrt, bis die Behörden das Verfahren aufnehmen. Und das kann dauern. „Besonders bei Menschen, die aus Krisengebieten wie Somalia kommen und nicht schnell wieder dorthin abgeschoben werden können“, berichtet Ursula Bernbeck. „Sie werden bewusst aus der Gesellschaft ausgegrenzt.“ Mit dem Kirchenasyl will das Ehepaar auch auf diese Zustände aufmerksam machen.

Kirchenasyl kein Dauerzustand

Zu einem Dauerzustand darf das Kirchenasyl trotzdem nicht werden. Doch Bernbecks sind zuversichtlich: Über einen Petitionsausschuss wurde noch einmal beantragt, dass Deutschland ein Asylverfahren einleitet. Dieses Mal unter einem neuen Gesichtspunkt: Die vierundzwanzigjährige Naima ist mit ihrem vierten Kind schwanger. Nach einer schweren Zwillingsgeburt handelt es sich um eine Risikoschwangerschaft. Außerdem kann eine Schwangere ab der 30. Woche nicht mehr abgeschoben werden. 

Billertshausen 2013. Mohammed, Naima, das Ehepaar Bernbeck, Pro-Asyl und das halbe Dorf hoffen, dass die Familie bleiben darf.

Kirchenasyl
Kirchenasyl wird den Menschen gewährt, die nicht unter staatlichem Schutz stehen, jedoch schutzsuchend sind. Es ist als Nothilfe zu verstehen, die Menschen, meist Flüchtlinge, vor einem menschenrechtlich nicht vertretbaren Handeln schützen soll. Diese Form von Asyl hat keine rechtliche Basis, wird aber in den meisten Fällen vom Staat vorläufig akzeptiert. Kirchenasyl hat den Zweck, dass der Fall bei der Ausländerbehörde wiederaufgenommen oder nochmals überprüft wird.

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