Bildung und Beruf

Wenn aus einem geflüchteten Akademiker ein Freund wird

Charlotte MattesDesalegne und Joel kennen sich erst seit drei Monaten, sind aber schon ein eingespieltes Team.Desalegne und Joel kennen sich erst seit drei Monaten, sind aber schon ein eingespieltes Team.

Sie sind hervorragend ausgebildet, haben sichere Jobs, müssen aber dann ihr Land verlassen. Viele Flüchtlinge sind Ärzte oder Rechtsanwälte. Eine Frankfurter Austauschplattform hilft zum Beispiel Desalegne aus Äthiopien, auch akademisch in Deutschland anzukommen.

Annette EtgesMerle Becker hat mit ihrer Freundin und Kommilitonin Melusine Reimers im Dezember 2013 AEW gegründet.Merle Becker hat mit ihrer Freundin und Kommilitonin Melusine Reimers im Dezember 2013 aeWorldwide gegründet.

Der 34-Jährige Desalegne wirkt schüchtern und zurückhaltend, er ist als Flüchtling aus Äthiopien nach Deutschland gekommen. Desalegne hat einen Master in Mikrobiologie, seine Frau in Pflanzenkunde. Seit zwei Jahren lebt die kleine Familie in einer Kleinstadt in der Nähe von Frankfurt. Desalegne wartet auf die Antworten zu seinem Asylantrag - und zu seinem Forschungsantrag. Damit er auch als Wissenschaftler in Frankfurt ankommen kann, hat er einen Studenten-Tandem-Partner. Dafür hat die Frankfurter Austauschplattform „Academic Experience Worldwide“, kurz aeWorldwide, gesorgt. Sie hat das Ziel, asylsuchende Akademiker und Akademikerinnen in ein akademisches Umfeld zu integrieren. Dabei wird ein geflüchteter Akademiker an einen deutschen Studenten vermittelt.

Ziel ist der Austausch von Fachwissen

aeWorldwide funktioniert ähnlich wie eine Partnervermittlung: „Wir legen ganz klassisch Tabellen an und wenn wir sehen, dass jemand fachlich von den Schwerpunkten und den Interessen zusammenpasst, gibt es ein Ersttreffen“, erklärt Initiatorin Merle Becker. Das Ersttreffen findet immer mit einem Mitarbeitenden von aeWorldwide statt. Wenn es für die Studenten relevant ist, wird auch das Geschlecht bei der Tandem-Wahl beachtet. Ziel eines Tandems ist auch der Austausch von Fachwissen. Desalegnes Abschluss wurde schon anerkannt. Der Ablauf hat ungefähr drei Monate gedauert und 250 Euro gekostet. Allerdings unterscheidet sich die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen von Fall zu Fall.

Gemeinsam Tee trinken und über die deutsche Pünktlichkeit sprechen

Durch aeWorldwide hat Desalegne seinen Tandem-Partner Joel kennengelernt. Er ist 26, studiert Ökologie und Evolution an der Frankfurt Goethe-Universität und ist einen Kopf größer als der acht Jahre älterer Desalegne. Die jungen Männer wirken sehr harmonisch und vertraut miteinander, lachen viel: Sie sehen schon jetzt wie ein eingespieltes Team aus. Desalegne versteht fast alles auf Deutsch, Joel spricht in natürlicher Geschwindigkeit mit ihm und wechselt nur ins Englische, um Desalegne Wörter zu erklären, die noch nicht zu seinem Wortschatz gehören. Desalegne genießt die Zeit mit seinem Tandem-Partner: „Wir gehen spazieren, trinken Tee und reden. Joel hat mir zum Beispiel erzählt, dass man in Deutschland immer pünktlich sein muss bei Treffen“, erzählt Desalegne. In seinem Heimatland Äthiopien sei das anders: „Bei uns kann jemand nach 20 Minuten vorbeikommen. Das ist kein Problem, das macht uns nichts“, fügt Desalegne an.

Offene Treffen stellen Abschlussarbeiten vor

Genau diese Art Austausch ist für Studentin Becker das Ziel von aeWorldwide. Durch das Zusammenbringen und Kennenlernen von verschiedenen Kulturen und akademischen Hintergründen könnten Stereotype und Rassismen abgebaut werden, schildert die 26-Jährige. Neben den Studenten-Tandems bietet aeWorldwide auch ein Seminar an. Dort kann jeder vorbeikommen, der an akademischem Austausch interessiert ist. In dem Seminar werden Fragen beantwortet und Abschlussarbeiten vorgestellt. Denn Becker hört häufig Vorurteile wie: „Wie in Eritrea gibt’s Unis? Oder „Psychologie so etwas gibt es doch gar nicht in Afrika“. Diesen Fehleinschätzungen will das Seminar entgegenwirken. Es findet alle zwei Wochen am Uni Campus Westend statt. Der nächste Termin ist der 22. Oktober. Becker hat aeWorldwide im Dezember 2013 mit ihrer Kommilitonin und Freundin Melusine Reimers gegründet. Bis heute gibt es 30 Tandems und einige Erfolgsgeschichten. Ein Flüchtling lehrt zum Beispiel durch die Hilfe von aeWorldwide mittlerweile an einer Universität in einer hessischen Großstadt.

„Joel ist wie in Bruder für mich"

Desalegnes Ziel ist es, an der Goethe-Universität über Antibiotika-Resistenzen zu forschen. Sein Abschluss ist schon anerkannt, auf eine Antwort für seinen Forschungsantrag warten Joel und Desalegne unruhig. Das Tandem skypt und whatsapped neben den persönlichen Treffen. So können sie sich im Alltag austauschen und Fragen klären. Joel und Desalegne wollen einmal zusammen ins Fußballstadion und bei Desalegne zu Hause kochen. Sie sind ich einig: „Das ist definitiv mehr als ein rein professionelles Verhältnis, ich würde schon sagen, dass wir befreundet sind“, sagt Joel und Desalegne ergänzt: „Joel ist wie in Bruder für mich. Ich kann meine Probleme erzählen, das passt gut“, sagt er und strahlt.

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