Kammer-Theater

Blick auf Bonhoeffers Liebe

Michael Brück

Ein minimalistisches Musical entfaltet Kraft und Spannung, so auch in Simmersbach: Miriam Küllmer-Vogt spielt Maria von Wedemeyer, die in Briefen Kontakt zu ihren Verlobten Dietrich Bonhoeffer hält. Unterlegt mit Originaltexten und Klaviermusik sorgt das Bühnenstück dafür, dass sich bei den Zuschauern die Nackenhärchen aufstellen.

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Von Jürgen Heimann | Fotos: Michael Brück

Die Frau ist schon der Knaller. Wo andere Ensembles in Kompaniestärke auftreten, stemmt sie die Show ganz alleine. Fast. Ein Klavierbegleiter ist auch noch mit an Bord. Aber damit wäre das personelle Aufgebot auch schon erschöpft. Die Künstlerin heißt Miriam Küllmer-Vogt, ist ausgebildete Pastorin, Theologin, Sängerin und Schauspielerin. Eine ziemlich außergewöhnliche Mixtur, wie ich finde. Und sie hat Erfolg. Mächtig sogar.

Ein Kammer-Musical mit nur einer Protagonistin scheint in Tagen, in denen eine Helene Fischer die größten Hallen der Republik mit einem erschlagenden Sound-, Light- und Visual-Effekt-Bombast überzieht, der ohne Mithilfe von mindestens zehn zutragenden Stage-Trucks und Dutzenden von Background-Sängern und Hupfdohlen erst gar nicht auf Touren kommt, hoffnungslos veraltet und aus der Zeit gefallen zu sein. Langweilig eben, bieder, trist. Schmalspur, Wie versucht, aber nicht gekonnt. Ist es aber nicht. Das Gegenteil ist der Fall.

Den Besuchern im evangelischen Gemeindehaus von Simmersbach knallten die Echos nach der letzten, von euphorischem Schlussapplaus begleitenden Final-Nummer noch lange durch den Kopf. Schon viel gesehen und erlebt, aber so etwas doch noch nicht. Da hatte in den zwei vorangegangenen Stunden „Bonhoeffers große Liebe“ aufgeleuchtet. Die jenes großartigen Mannes, Pfarrers und von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers, der ganze Generationen von Theologen und Demokraten durch sein selbstloses, mutiges und bestimmtes Wirken beeinflusst und geprägt hat. Der aufrecht und nackt, ohne vor seinen primitiven Peinigern zu buckeln, in den Tod ging, weil er eben wusste, dass eine weitgrößere Gestalt, als es sich diese primitiven NS-Schergen in ihrer verqueren, grausamen Fantasie hätten vorstellen konnten, seine beschützende Hand auch in Folge über ihn halten würde.

„Bonni“ nicht im Mittelpunkt und doch dabei

Dietrich Bonhoeffer ist eine inzwischen schon beinahe überhöhte Gestalt im christlichen Selbstverständnis der Kirche. Zu recht. Keiner vor und nach ihm hat das christliche Selbstbild so vehement vertreten und geprägt, kaum einer war bis zur letzten Konsequenz entschlossen, diesem alles zu opfern, auch sein eigenes Leben. Wohl jeder kennt seinen unsterblichen, von ergreifender Lyrik geprägten Hit „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Aber nur wenige wissen, was dieser großartige Mann durchlitten hat und was ihm die Kraft gab, bis zuletzt an seinen Überzeugungen fest zu halten.

So direkt stand „Bonni“ noch nicht einmal im Mittelpunkt der Inszenierung. Es war eher eine Frau, seine Ex-Verlobte und große Liebe: Maria von Wedemeyer. In deren Rolle schlüpfte Miriam Küllmer-Vogt als ein Teil jener zwei Königskinder, die nie zusammen finden durften und konnten.

Ein kleiner Tisch mit Teetassen und einer Kerze, ein altes Radio und eine Kassette mit Briefen und anderen Erinnerungsstücken – das war’s denn auch schon an Requisiten. Innerhalb dieser minimalistischen Szenerie erzählte die Künstlerin ihre Geschichte, und die von Dietrich Bonhoeffer. Als 18-jähriger Teenie hatte sich das Mädel unsterblich in diesen bedeutenden und wesentlich älteren Mann verliebt. Doch die Beziehung hatte keine Chance, über die geschlossene Verlobung hinaus zu wachsen. Bonhoeffer, schon kurz danach von Gestapo-Schergen inhaftiert, musste (oder durfte) wenige Wochen nach Beginn dieser Liaison, am 9. April 1945 im KZ Flossenburg vor seinen Schöpfer treten.

Die letzten Briefe und Gedanken, die er zuvor in seiner gerade mal sechs Quadratmeter großen Zelle an seine große Liebe gerichtet und verfasst hatte, sind das poetische Gerüst, aus dem dieses minimalistische Musical seine Kraft und Spannung bezieht. Belebt und getrieben von einer Actrice, die so authentisch und überzeugend agierte, dass sich bei den Zuschauern die Nackenhärchen aufstellten. Ein großartiger Abend. Danke!

Bühnenstück von Fabian Vogt

Fabian Vogt lässt in seinem eindrucksvollen Theaterstück und der Vertonung von Originaltexten Dietrich Bonhoeffers und seiner „großen Liebe“ Maria von Wedemeyer selbst zu Wort kommen. Ebenso anrührend und meisterhaft verlebendigt die charmante und zauberhafte, vielseitig begabte und engagierte Künstle-rin (Schauspielerin und Sängerin) und Theologin Miriam Küllmer-Vogt in ihrem Theaterstück und Musical die schriftliche Vorlage.

Die unterschiedlichen, oft zwiespältigen Gefühle, intensiven und herzzerreißenden Gedanken Marias angesichts der herausfordernden und außergewöhnlichen Beziehung spricht Miriam überzeugend und stimmungsvoll an. Die vielfältigen inneren und äußeren Stimmungen und Stimmen der jungen Frau kommen in Selbst-Gesprächen und ausdrucksvollen Liedern sowie Zitaten aus ihren beiderseitigen Briefen, Gedichten und Bonhoeffers Werken sehr authentisch und ansprechend zur Geltung. Und verleiht dem „berühmten“ Liebespaar so Stimme und Gehör. Miriam Küllmer-Vogt wurde in Simmersbach begleitet von einem begnadeten Klavierspieler und musikalischen Interpreten sowie von einem Techniker unterstützt.

TEXT: JÜRGEN HEIMANN | FOTOS: MICHAEL BRÜCK

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