Fußball-WM in Brasilien

Film: Polizei und Medien im Konflikt mit Demonstranten

Normative OrdersEntspannte Atmosphäre bei der Filmvorführung im Museumspark

Eine Preiserhöhung von 6 Cent führt zu Protesten, erst in São Paulo, dann in mehr als hundert Städten Brasiliens. Der Regisseur Cesar Oiticica Filho hat die Demonstranten mit der Kamera begleitet.

Normative OrdersGut besetztes Podium: Filmemacher Tamur Aimara, der Übersetzer, César Oiticica Filho (Regisseur), Dr. Joachim Bernauer (Goethe-Institut), die beiden Moderatorinnen Dr. Paula Macedo Weiß (Artichoke Kulturproduktion) und Rebecca Schmidt (Geschäftsführerin des Exzellenzclusters), Verena Lueken (FAZ-Filmkritikerin), Dr. Priska Daphi (Protest-Forscherin) und Dr. Antonio Martins (Strafrechtler) (v.l.n.r.) | Bild: Normative Orders

Im Park des Museums für Angewandte Kunst haben die Stadt Frankfurt, die Uni Frankfurt und Artichoke Kulturproduktion zum Filmabend mit Podiumsdiskussion über die Proteste in Brasilien eingeladen. Im Fokus steht dabei der zweite Film des jungen Regisseurs César Oiticica Filho, dessen Debüt bei der Berlinale 2013 bereits zwei Preise erhalten hat.

Film „Vinegar Syndrome“ begleitet soziale Proteste

Im Sommer 2013 kommt es immer wieder zu immer heftigeren Demonstrationen auf den brasilianischen Straßen. Es gibt keinen klaren Anführer, keine Sprecher, keine Partei – aber ein Ziel und klare Kritik: Während die Politik des Schwellenlandes Milliarden in die WM investiert, fehlt das Geld bei der Bildung, im Gesundheitssystem und in der Infrastruktur. Tausende Menschen werden im Vorfeld umgesiedelt und pendeln quer durch die Stadt zu ihren Arbeitsplätzen.

Für viele Brasilianer sind 6 Cent viel Geld

Als die Bustickets in São Paulo um 20 Centavos (umgerechnet ca. 6 Euro-Cent) teurer werden, gehen die Menschen auf die Straße. Regisseur Cesar Oiticica Filho und sein Kameramann Tamur Aimara sind von Anfang mit der Kamera dabei. Was zunächst wie ein lokaler Protest aussieht, erfasst bald alle größeren Städten des 200-Millionen-Einwohner-Landes. 

In seinem Film „Vinegar Syndrome“ dokumentiert Oiticica die Ereignisse, blendet Nachrichten der großen Fernsehsender ein und stellt so die Frage der Objektivität in der Berichterstattung. Die einheimischen Medien zeigen Graffitis der Protestler in ihren Nachrichten und stellen sie Vandalismus dar, während Oiticica gewalttätige Polizisten filmt, die mit Gummigeschossen und Pfefferspray auf friedliche Demonstranten zielen. Seine Kritik richtet sich explizit gegen den erfolgreichen Privatsender Globo-TV. Mit einfachen Mitteln stellt er die Aussagen der Kommentatoren gegen die der Demonstranten. Täglich würden fünf Menschen von Polizisten getötet, andere grundlos festgenommen, so lauten die Vorwürfe im Film. Oiticica verwendet nicht nur eigenes Material, sondern auch Netz-Videos anderer Protestler und Collagen. Die Gegenseite kommt nicht zu Wort. Und wenn Oiticica die Torschüsse brasilianischer Fußballer hart und rhythmisch auf die Schüsse von Polizisten gegen Demonstranten schneidet, ist die Botschaft klar.

Steuern wie in der Schweiz, Versorgung wie in Äthiopien

Objektivität beansprucht Oiticica nicht, er will den Staat und die großen Medien kritisieren. „Wir zahlen Steuern wie in der Schweiz und kriegen eine staatliche Versorgung wie in Äthiopien“, sagt der Brasilianer. Dass etwas in den Strukturen nicht stimmt, bestätigt auch Ute Greifenstein vom Zentrum Ökumene der EKHN. „Es wird überall gespart: an der Bildung, an der Gesundheit und an der Infrastruktur, und dann werden in den WM-Städten solche Prestige-Objekte gebaut“, stellt sie fest. „Es war ein Fehler des brasilianischen Staates, so viel Geld für die WM auszugeben, das an anderer Stelle fehlt.“

Mehr als 200.000 Menschen mussten umziehen

Für die WM wurden nach Angaben des Zentrums Ökumene mehr als 200.000 Menschen zwangsumgesiedelt, allein in São Paulo mussten wenigstens 90.000 Personen ihre Wohnung oder ihr Haus verlassen. „Vorher waren sie in ihren Favelas und nah am Zentrum, dort haben sie aber gestört“, erklärt Greifenstein. „Jetzt wohnen sie weit weg, müssen aber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln teilweise stundenlang durch die Stadt pendeln und im Verhältnis zu ihrem Einkommen sehr viel Geld dafür ausgeben.“ In São Paulo etwa seien die Straßen völlig überlastet. Gleichzeitig würden Milliarden für die WM ausgegeben.

Menschen stehen für ihre Rechte ein

Dass die Darstellungen von Polizeigewalt durch Oiticica keineswegs überzeichnet seien, bestätigt Joachim Bernauer vom Goethe-Institut. Von 2002 bis 2008 hat er in São Paulo gelebt und sich eigentlich immer gefragt, warum es keine Proteste gibt. „Die Polizei mordet und spielt mit bei der Gewaltorgie, das ist für Deutschland unvorstellbar“, berichtet er. Er sieht die Gründe für die Proteste auch darin, dass die Menschen sich ihrer Rechte bewusst werden: „Viele notleidende Menschen glaubten früher selbst, dass sie nicht das Recht haben, sich zu beschweren. Das hat sich geändert.“

Vinegar Syndrome

Brasilien/Deutschland 2014, 83 Min.

Regie: César Oiticica Filho und Tamur Aimara

Alles zur Fußball-WM in Brasilien

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