Corona und Altenpflege

Pflege ohne Nähe kaum möglich

privatWohnbereichsleiterin Nadine Obermaier und Pflegedienstleiterin Ulrike Köppen vom EVIM Seniorenzentrum Mainz Kostheim sitzen auf einem Sofa im Seniorenzentrum.Ständig im Einsatz im EVIM Seniorenzentrum Mainz-Kostheim: Nadine Obermaier (links) ist Wohnbereichsleiterin, Ulrike Köppen (rechts) ist Pflegedienstleiterin.

„Halten Sie Abstand!“ Die große Regel dieser Tage ist überall zu lesen und zu hören. Aber: Möglich ist das nicht überall. In Pflege- und Altenhilfeeinrichtungen können die Bewohnerinnen und Bewohner ohne körperliche Nähe kaum betreut werden. Doch die Pflegerinnen und Pfleger des EVIM-Seniorenzentrums stellen sich ihrer Verantwortung. Zudem stellen sie Forderungen an die Politik.

Die tägliche Dusche, das Frühstück, das Anziehen des Schlafanzugs. Das sind für einen Großteil der Menschen Alltäglichkeiten. Für viele kranke oder ältere Menschen, insbesondere in Pflege- und Altenhilfeeinrichtungen können diese alltäglichen Aufgaben zum Marathon werden, teilweise brauchen sie dazu die Hilfe von Pflegerinnen und Pflegern. Das bringt viele Altenhilfe- und Pflege-Einrichtungen in Zeiten von Corona in ein Dilemma, denn zu den wichtigsten Maßnahmen gehört: 1,5 bis 2 Meter Abstand halten. Doch ausgerechnet dort, wo der Schutz älterer und gefährdeter Menschen vor einer Covid-19-Erkrankung höchste Priorität hat, lässt sich diese Regel kaum umsetzen. „Körperliche Nähe muss sein! Wir müssen nah am Bewohner sein, das lässt sich einfach nicht verhindern“, sagt Nadine Obermaier, Wohnbereichsleiterin des Seniorenzentrums der EVIM (Evangelischer Verein für Innere Mission in Nassau) in Mainz-Kostheim.

Neuer Tagesablauf für das Seniorenzentrum

„Unser kompletter Tagesablauf ist jetzt umgestellt“, erzählt Nadine Obermaier weiter: „Früh- und Spätdienst überschneiden sich zum Beispiel nicht mehr, damit sich weniger Menschen begegnen.“ Auch würden die Mahlzeiten von Bewohnern nur noch in ihren eigenen Zimmern gegessen werden und nicht mehr gemeinsam in den Wohnküchen. Und es gebe genaue Regeln, wer welches Bewohnerzimmer betreten dürfe. „Wir verlassen uns natürlich auch darauf, dass unsere Mitarbeiter sich an alle Regeln halten“, ergänzt Pflegedienstleiterin Ulrike Köppen: „Also dass sie ihre sozialen Kontakte so weit wie möglich einschränken und auch auf die Hygiene zu Hause achten.“ Vieles basiert in der Pflege auf gegenseitigem Vertrauen. Ohnehin gebe es im Seniorenzentrum umfangreiche Hygieneregeln, unabhängig von Corona. Desinfektionsmittel, Einweghandschuhe, Mundschutz sind in der Einrichtung schon längst vorhanden. Trotzdem, so bestätigt Nadine Obermaier, würde man noch viel mehr auf Hygiene achten als zuvor schon. Mundschutz werde nun während des gesamten Tages über getragen.

Zuwendung durch vertrauensvolle Gesten zeigen

Trotz aller Maßnahmen: Ganz vermeiden lässt sich zwischenmenschlicher Kontakt im Seniorenzentrum nicht. Dabei gehe es auch um das Bewältigen von alltäglichen Aufgaben wie der Dusche oder dem Anziehen. Nadine Obermaier erklärt: „Die Bewohner brauchen einfach die körperliche Zuwendung, wie sie sie vorher auch gebraucht haben.“ Auch wenn es am Anfang noch schwierig war, den Bewohnern die aktuelle Corona-Situation zu erklären, so seien die Meisten mittlerweile verständnisvoll und einsichtig. „Sie wissen, dass das Virus sehr aggressiv ist und sie zur Risikogruppe gehören“, führt Obermaier weiter aus: „Und dass es letztendlich zum Tod führen könnte.“ Die Bewohner halten selbst auch Abstand, sie seien deutlich vorsichtiger als sonst. Wirklich große Ängste aufgrund der Pandemie hätten die Meisten aber nicht.

Kontakt halten über Tablets

Schwierig sei für viele Bewohner allerdings, dass sie keine Besuche mehr empfangen können – keine Söhne und Töchter, Enkel, Freunde und Bekannte. Nicht einfach zu handhaben ist das auch für die Angehörigen: Der Besuch im Seniorenzentrum gehört für viele dazu. Darauf zu verzichten sei für viele ein großer Einschnitt, zumal familiäre, unmittelbare Nähe und Zuwendung kaum zu ersetzen sei. Doch die Kommunikations-Möglichkeiten wurden verbessert: „Es gibt jetzt eine Tabletzeit bei uns“, sagt Nadine Obermaier. Über die Video-Telefonie bei Tablets könne ein persönliches Gespräch inklusive Mimik und Gestik zwischen den Bewohnern und ihren Angehörigen geführt werden. Auf Umarmungen und Berührungen muss aber weiterhin verzichtet werden.

Große Einschnitte auch für Mitarbeitende

Auch die Mitarbeitenden müssen sich während der Corona-Zeit umorganisieren. Der private Alltag sei nun ein ganz anderer. „Ich überlege mir jetzt schon dreimal, ob ich unbedingt einkaufen gehen muss oder ob es noch warten kann“, erzählt Nadine Obermaier: „Wir haben nicht nur die Verantwortung für uns, sondern auch für unsere Bewohner.“ Das bestätigt auch Pflegedienstleiterin Ulrike Köppen. Sie habe ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert, um die Bewohner zu schützen. Die Arbeit spielt nun auch im Privatleben eine noch größere Rolle als sonst.

Schwierige Bedingungen für die Kranken- und Pflegeeinrichtungen

Gerade jetzt während der Corona-Pandemie ist zu sehen, dass sich viele Menschen bei Kranken- und Pflegekräften bedanken. Mit Videos, mit Bannern, mit vielen Posts in den sozialen Netzwerken. Auch Ulrike Köppen und Nadine Obermaier bekommen diesen Strom an Dankbarkeit mit. „Wir freuen uns natürlich über die ganze Anerkennung und darüber, dass wir aus der Pflege jetzt auch endlich in der Gesellschaft angekommen sind“, sagt Obermaier. Trotzdem werden die ganzen Aktionen zum Teil auch kritisch gesehen. Pflege sei nicht nur während der Corona-Pandemie wichtig: „Wir wünschen uns natürlich, dass wir auch nach der Krise noch so präsent sind“.

Forderungen an die Politik

An erster Stelle stünde für Nadine Obermaier, dass in Zukunft mehr Personal für die Pflege bereitgestellt werden müsste. Und auch die Gehälter in der Pflegebranche müssten thematisiert und diskutiert werden. Auch Diakoniepräsident Ulrich Lilie wünscht sich mehr Debatten zur Situation in Pflegeeinrichtungen. Bevor über Lockerungen der Corona-Maßnahmen gesprochen werde, müsse man auch darüber sprechen, dass es beispielsweise immer noch nicht genug Schutzkleidung für die Mitarbeitenden in der Pflege gebe. „In unseren Einrichtungen sehen wir trotz der vielen Vorsichtsmaßnahmen, dass sich weiterhin Menschen mit dem Virus infizieren und wie schwer die Erkrankung bis zum Todesfall verlaufen kann“ ergänzt er. Nadine Obermaier und Ulrike Köppen versuchen mit ihrem Team täglich, genau das zu verhindern.

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